Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
warm, als sie die seine berührte.
„Mergun...“, sagte sie leise.
Und Mergun spürte nun auch die tiefe Verwirrung im Innern seiner Gefährtin.
„Wann wirst du aufbrechen, Mergun?“
Merguns Gesicht verdüsterte sich. Die Revolution würde auch eine Trennung von Lari bedeuten. Vielleicht sogar eine Trennung durch den Tod...
„Morgen“, flüsterte er. „Morgen werde ich gehen.“
„Wann wirst du zurückkehren?“
„Schon sehr bald“, erwiderte Mergun mit einem zynischen Ausdruck im Gesicht. „Der Berg der Götter ist das Ziel der Revolution!“
„Ich weiß.“
„Durch die Revolution werden die Menschen frei werden, Lari!
Frei von ihren Göttern, die sie so lange versklavt und gedemütigt haben! Es wird ein großer Tag in der Geschichte der Sterblichen werden!“
„Wie frei werden die Menschen nach der Revolution sein, Mergun?“, fragte Lari dann.
„Freier als jetzt“, brummte Mergun, wobei er mit den Schultern zuckte. Ja, wie frei würden die Menschen nach der Revolution tatsächlich sein?
„So frei wie der bunte Vogel, Mergun?“
Mergun sah in ihre braunen Augen und wusste einen Augenblick nicht, was er antworten sollte.
So frei wie der bunte Vogel?, überlegte er. Der bunte Vogel besaß die absolute Freiheit. Nichts konnte ihn aufhalten, nichts ihn stoppen, nichts ihn daran hindern, dorthin zu fliegen, wohin er wollte.
Konnte ein Mensch so frei sein wie es der bunte Vogel war?
„Ich weiß nicht, Lari. Ich weiß nicht, wie frei die Sterblichen sein werden, wenn die Revolution vorbei ist. Das hängt zum größten Teil von ihnen selbst ab - ob sie sich zum Beispiel neue Götter erschaffen oder nicht. Wenn sie es tun, dann ist die ganze Revolution umsonst gewesen, denn das System, nach dem diese Welt funktioniert, wird weiter fortbestehen: Es wird dann weiterhin Götter und Sterbliche, Befehlshaber und Befehlsempfänger, Ausbeuter und Ausgebeutete geben. Der Mensch muss das System durchbrechen, in dem er lebt, Lari! Er muss aufhören, das Mächtige anzubeten, denn das Mächtige bekommt einen großen Teil seiner Macht erst durch diese Anbetung!
Dadurch wird es erst wirklich mächtig - und gefährlich. Der Mensch darf sich nicht länger selbst dazu erniedrigen, Soldat der Götter zu sein!“
Lari nickte.
„Vielleicht hast du recht, Mergun.“
„Vielleicht...“
„Aber du darfst nie vergessen, dass du selbst ein Gott bist, Mergun! Das habe ich dir bereits gesagt, als du gerade auf dem Uytrirran angekommen warst! Du bist nicht mehr der Sterbliche, der du einst warst. Du bist nicht mehr der verträumte Wanderer, voll der Ideale und der Hoffnung angesichts eines aussichtslosen Unternehmens! Du bist jetzt Mergun, der Gott.“
„Aber ich bin noch immer Mergun! Ich denke dieselben Gedanken, die jener verträumte Wanderer dachte, ich trage dasselbe Schwert an meiner Seite, ich spreche mit demselben Mund!“
„Du bist ein Anderer. Aus Mergun dem Wanderer wurde Mergun der Gott.“
„Was willst du damit sagen? Worauf willst du hinaus?“
„Ich will damit sagen, dass du dir vielleicht einmal überlegen solltest, ob es nicht besser ist, auch wie ein Gott zu handeln...“ Lari hatte dies nur sehr vorsichtig und leise gesagt. Dennoch blitzte es in Merguns Augen wild.
„Sein wie ein Gott?“, rief er und Lari erschrak. Wenn ihn jemand hörte... Die Gesetze und Regeln der Götter waren streng. Verräter wurden ans Kreuz geschlagen! Und Bemerkungen, wie sie jetzt über Merguns Lippen kommen würden, konnten dazu ausreichen, dass man ihn hinrichtete.
„Sein wie ein Gott?“, wiederholte Mergun, wobei er aufstand und zum offenen Fenster schritt. „Soll ich vielleicht Menschen die Augen ausquetschen lassen, ihnen die Beine brechen lassen und hernach genüsslich betrachten, wie man sie an ein Holzkreuz schlägt? Handle ich dann wie ein Gott? Wie ein `richtiger` Gott?“ KREUZ! Dieses Wort löste in Lari einen Angstimpuls aus. Sie dachte an Shaykaliin und sein grauenhaftes Schicksal.
„Wenn du weiter so laut ketzerische Reden schwingst, dann kommst DU ans Kreuz, Mergun!“, schimpfte sie. „Und ich vielleicht mit dir!“ Mergun erstarrte. Er blickte vom Fenster zu ihr hinüber und musterte sie.
Gib zu, dass sie recht hat!, sagte er sich selbst. Du darfst sie nicht gefährden. Das wäre unfair.
„Entschuldige“, sagte er schließlich und machte das Fenster zu.
„Mergun“, sagte sie dann, „man muss doch nicht unbedingt eine grausame Bestie sein, um als Gott zu herrschen.
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