Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
Sieh mich an! Bin ich vielleicht grausam?“
Mergun sagte nicht sofort etwas. Sein Gesicht sah angestrengt aus.
Er schien intensiv nachzudenken.
„Lari“, sagte er dann schließlich, „du verhältst dich nicht typisch für einen Gott.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Du bist einfach zu...menschlich.“
„Zu menschlich?“
„Ja. Zu menschlich, um ein `richtiger` Gott zu sein.“
„Aber...“
„Sieh dir doch die anderen an: Krask, Nekardion, Gria, Sunev...
Nur die Wenigsten von ihnen sehen äußerlich noch wie Menschen aus.
Du bist eine dieser Wenigen. Und du bist nicht nur äußerlich noch Mensch, sondern auch innerlich. In deinem Herzen bist du keine Göttin, sondern eine Frau. Du redest dir nur fortwährend ein, etwas anderes zu sein - und die Sterblichen helfen dir dabei. Sie glauben an dich und vergöttlichen dich dadurch. Aber, dass du hier irgendwie nicht hingehörst, habe ich von Anfang an gespürt.“ Lari war ganz still geworden. Sie kauerte auf dem Boden und heftete ihren Blick auf eines der bestickten Kissen.
Viele Gedanken kamen ihr plötzlich gleichzeitig und sie hatte Mühe, diese Gedankenflut zu ordnen.
Ja, noch war sie menschlich - zwar eine Göttin, aber immerhin noch menschlich. Ihr Körper war menschlich. Und ihre Seele auch?
Sie wusste es nicht.
Aber eines war ihr nun klar: Sie würde sich verändern, wenn sie länger auf diesem Berg in der Gesellschaft der anderen Götter blieb.
Vielleicht würde sie sich Hörner wachsen lassen, vielleicht auch einen Bart oder einen dritten oder vierten Arm.
Aber auch wenn sie in ihrer äußeren Erscheinungsform ein Mensch bleiben würde, so würde sich doch zumindest ihre Seele verändern.
Hatte sich ihr Inneres nicht schon längst verändert?
Mergun sagte, dass dies noch nicht der Fall wäre.
Aber er konnte sich irren. Lari hatte inzwischen erkannt, dass die Unfehlbarkeit der Götter nur eine Erfindung der Sterblichen war, eine Lüge, die ihnen die Götter allzu gerne glaubten - erleichterte sie ihnen das Herrschen doch erheblich!
„Mergun“, sagte sie schließlich, „ich werde dich morgen begleiten!“
*
Genau wie Mergun einst von dieser Anhöhe aus auf das Tal und die Ruinen von Grijang geblickt hatte, so taten es nun Irrtoc, Túlina und jene anderen, die aus Darakyn gekommen waren.
Sie waren nicht gerade eine große Armee (vielleicht zweieinhalb Dutzend zählten sie), aber dennoch schienen sie zu allem entschlossen.
„Es scheint, als wären wir die Ersten“, stellte Irrtoc seufzend fest.
Dabei streichelte er fast liebevoll den Hals seines Pferdes.
„Kein Wunder“, meinte Túlina. „Vollmond ist ja auch erst morgen.
„Vielleicht ist alles doch eine Falle!“, brummte Ravic der Misstrauische.
Irrtoc blickte unterdessen auf die Ruinen. Sie mussten schon unendlich alt sein. Äonen war es her, seit diese Stadt ihre Blütezeit erlebte. Nun kündeten nicht einmal mehr bleichende Gebeine davon, dass hier einst Menschen gelebt hatten.
Nur jene Ruinen hatten sich über die Zeit hinwegretten können.
„Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe Angst“, gestand plötzlich Hadry-al-Komson. Hadry war ein wahrer Riese: mindestens eineinhalb Köpfe größer als Ravic - und jener besaß schon eine recht beachtliche Statur. Als Waffe benutzte er eine titanenhafte Hellebarde.
„Ihr habt Angst, guter Hadry?“, fragte Tronar aus dem Mondland etwas spöttisch. „Und dabei habt Ihr doch am wenigsten zu fürchten, wo Ihr doch der Stärkste von uns allen seid...“ Hadry zuckte nur mit den Schultern.
„Trotzdem macht mir die Zukunft Angst...“
„Mir auch“, gestand Megalto vom gegabelten Schwert.
„Die Zukunft wird glorreich für die Sterblichen werden! Sie werden es endlich schaffen, sich von ihren Göttern zu befreien“, sagte Túlina voller Überzeugung.
Irrtoc setzte sich ins Gras. Hoffentlich gelang es den Menschen diesmal wirklich, sich zu befreien. Die anderen setzten sich nun ebenfalls und ließen ihre Pferde grasen.
„Es liegt viel Arbeit vor uns, Irrtoc. Und wahrscheinlich stehen uns eine Reihe großer und blutiger Schlachten bevor. Aber ich bin mir sicher, dass wir es am Ende doch schaffen werden“, erklärte Túlina, die sich neben Irrtoc gesetzt hatte. Der Sänger nickte.
„Hoffen wir`s. Wahrlich, hoffen wir's“, seufzte er. Dann wandte er sich an Túlina, die ihren Speer in den Boden gerammt hatte. „Woher kommt Ihr, Lady?“, fragte er.
„Woher ich komme? Ich bin in Gernov geboren.
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