Elfen wie Diamant
zufällig noch jemand gehört?«, erkundigte sich Rallie und blickte zum Himmel.
Konowa stampfte mit dem Stiefel auf die Planken. Was machte Rallie da? Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sein Versuch wurde zunichtegemacht, als der Prinz ihm den Rücken zudrehte und Rallies Blick folgte.
»Ist das ein Flattern?«, fragte Seine Hoheit.
»Nicht irgendwelche Flügel«, erwiderte Rallie, deren mürrische Stimme vor offensichtlichem Entzücken eine Oktave anstieg. »Diese betrunkene Ansammlung von Federn würde ich überall wiedererkennen.«
Seinem Namen alle Ehre machend torkelte Wobbly, der Depeschenpelikan, über dem Hafen in Sichtweite. Die Tatsache, dass er kaum vorwärtskam, war offenkundig. Er taumelte und schwankte wie der betrunkene Vogel, der er ja auch war, auf und ab und nahm dabei weit mehr Himmel in Anspruch als jeder andere Vogel. Konowa vermutete, dass er vermutlich doppelt so weit flog, wie er musste, weil er ständig Kurven beschrieb.
»Wobbly!«, schrie Rallie. Alle drehten sich um und beobachteten den Flug des Pelikans.
»Er ist verwundet«, meinte Pimmer, der ebenfalls an Deck gekommen war.
»Nein, nur betrunken, wie üblich«, sagte Rallie und trat an den Rand der Reling. Wobbly korrigierte seinen Kurs mehr oder weniger geschickt und steuerte schlingernd dem Schiff entgegen.
Konowa warf dem Prinzen einen finsteren Blick zu, dann verfolgte er ebenfalls die Landung des Pelikans. Etwa fünfundsiebzig Meter vor dem Schiff breitete er die Schwingen aus und begann zu segeln. Er wurde ein bisschen nach rechts abgetrieben, senkte seinen linken Flügel und richtete sich dann im Wind aus.
»Er kommt schrecklich schnell herein, habe ich recht?«
In zwanzig Meter Entfernung streckte er seine RuderfüÃe nach vorne. Konowa versuchte seinen Pfad vorauszuberechnen, um zu sehen, worauf er abzielte. Aber das Einzige, was es dort gab, war das groÃe Hauptsegel â¦
Wumm!
Wobbly traf das Hauptsegel und flatterte verzweifelt mit den Flügeln, als er vergeblich versuchte, dort irgendwo Halt zu finden. Er gab auf oder war zu erschöpft, jedenfalls rutschte er am Segel hinab, bis er die Hauptspiere traf, davon abprallte, einen Purzelbaum in der Luft schlug, wobei er etliche Federn verlor, und rücklings auf dem Deck landete. Seine Schwingen hatte er ausgestreckt, und seine mit Schwimmhäuten versehenen FüÃe ruderten durch die Luft.
»Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ob Sie statt seiner auch eine Eule benutzen könnten?«, erkundigte sich Konowa.
»Denen kann man nicht trauen«, erwiderte Rallie, trat vor, hob den Pelikan auf und nahm ihn in die Arme. »Sie sind schlauer, als gut für sie ist. Wobbly dagegen ist ein Vogel, dem man trauen kann. Er ist ein Trunkenbold, aber ein höchst vertrauenswürdiger.«
Wobbly öffnete seinen Schnabel und rülpste, was Konowa
aus fünf Meter Entfernung riechen konnte. Dann würgte er eine Phiole aus seinem Schlund, die Rallie sich geschickt schnappte. Danach stellte sie den Pelikan wieder auf das Deck. »Würde ihm jemand bitte eine Schüssel Grog bringen, danke.«
Konowa frustrierte es immer mehr, dass sich seine Auseinandersetzung mit dem Prinzen verzögerte. Er wollte gerade wieder den Mund öffnen, hielt jedoch inne, als er Rallies Miene sah, nachdem sie die Phiole geöffnet und die Notiz auf dem kleinen, zusammengerollten Blatt Papier gelesen hatte, das darin gewesen war.
»Rallie, was steht da?«, fragte Visyna.
Rallie drehte sich herum und sah den Prinzen an. Dann schob sie die Kapuze ihres Umhangs zurück. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Mit gröÃtem Bedauern muss ich Euch darüber informieren, dass Ihre Majestät, die Königin von Calahr, tot ist.«
33
KONOWA ZWANG SICH, ruhig zu bleiben. Der Tod der Königin war tragisch. Er hatte das alte Mädchen einmal getroffen und war von der scharfen Intelligenz beeindruckt gewesen, die aus diesem fetten, aufgedunsenen Gesicht sprach. Würde der Prinz jetzt in Tränen ausbrechen und sich in seiner Kabine verstecken? Vielleicht würde er ja eine tapfere Miene aufsetzen, oder schlimmer noch, fröhlich darauf reagieren, dass er endlich König war. Nach seinem untröstlichen Gram wegen der Zerstörung der verschollenen Bibliothek von Kaman Rhal wäre das der letzte Strohhalm, der sein königliches Rückgrat brechen könnte
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