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Elfen wie Stahl

Elfen wie Stahl

Titel: Elfen wie Stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Evans
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spreizte kurz seine Federn, um den Klang seines eigenen Rufs über seine Haut laufen zu lassen. Er hätte unterwegs Beute finden können, selbst wenn sie so klein wie eine Schwalbe gewesen wäre, aber es gab nichts zu finden. Er war gütiger- und barmherzigerweise allein.
    Er nahm wieder seinen alten Kurs auf und flog weiter. Seine Gedanken waren einfach und klar. Rallie sorgte für ihn, beschützte ihn und erlaubte ihm, wenn auch viel zu selten, seine Schwingen auszubreiten und zu fliegen. Also flog er zu dem Ort, zu dem er fliegen musste, öffnete seine Schnauze und ließ den Wind in seiner Kehle heulen. Und sah den Schatten nicht, der sich ihm näherte, einen Schatten aus Klauen, Zähnen und Gier, einen Schatten aus einer kalten, fernen Vergangenheit.
    Â 
    Er war nicht tot, aber manchmal wünschte er, er wäre es, und wenn auch nur, um etwas Ruhe zu finden.
    Es rief ihn jede Nacht in seinen Träumen, und obwohl Vizekönig Faltinald Gwyn wusste, dass das nicht möglich war, passierte es.
    Es hatte keinen Mund und kein Herz, nicht einmal ein Hirn, und dennoch hörte er die Schreie, und, was wichtiger
war, er verstand sie. Nacht um Nacht schrie es, und es gab keine Möglichkeit für ihn, dem zu entkommen, es sei denn, er vernichtete es. Und das würde er niemals tun, denn es war Macht, ungezügelte Macht, und dafür hatte er Verwendung.
    Zuerst hatte er die klagenden Rufe ignoriert, nicht geglaubt, dass sie real wären. Dann hatte er den Leichnam eines seiner Lakaien vor seinen Füßen liegen sehen und begriffen, dass es sehr real war. Es zu ignorieren bedeutete, das Unheil in diesem Palast der Hauptstadt von Elfkyna zu beschwören, und es war nicht so leicht, gute Diener zu finden. Also wälzte sich der Vizekönig im Schlaf, gequält von einer Stimme, die nicht existieren sollte.
    Die seidenen Laken seines Himmelbettes wickelten sich um seinen Körper. Er sank tiefer in den Schlaf hinab, griff zu einem Trick, den er einmal von einem blinden Wahrsager aufgeschnappt hatte. Er imaginierte eine schwarze Träne vor sich in der Luft und trat hindurch. Dabei bemerkte er, wie sein Herzschlag langsamer wurde. Aber es half nicht. Die Schreie verfolgten ihn gnadenlos. Er schuf Träne um Träne, jede kleiner und dunkler als die davor, bis sein Herz kaum noch schlug, seine Atmung kaum noch wahrzunehmen war; und dennoch folgten ihm die Rufe auf die andere Seite. Er hatte sich noch nie so tief in den Abgrund seines Verstandes gestürzt, was ihn gleichzeitig begeisterte und ihm Furcht einflößte, noch während die klagenden Schreie, die durch das Labyrinth seines Unbewussten hallten, ihn zurückriefen.
    Schließlich beugte sich der Vizekönig dem Unausweichlichen und schwamm durch die Dunkelheit seines Verstandes nach oben. Es war ein langsamer, zäher Prozess, aber er war stark, und die Stimme führte ihn wie ein Leuchtfeuer mit unerschütterlicher Zielstrebigkeit. Schließlich wurde er sich seines Körpers bewusst, fühlte, wie sein Herz regelmäßig schlug,
wie die Luft durch seine Kehle in seine Lungen strömte, und fand sich wieder in seinem Schlafgemach in seinem Palast. Er setzte sich sofort auf, strich die Laken von seinem nackten Körper und stellte angewidert fest, dass er schweißüberströmt war. Er warf einen vernichtenden Blick durch das Gemach, registrierte das kühle blaue Leuchten etlicher strahlender Edelsteine, die in handgeschmiedete Silberleuchter eingearbeitet waren. Abgesehen davon, dass sie Licht spendeten, sollten sie auch die Temperatur in dem Raum senken, die Luft kühler halten als der stickige Wind, der dieses Land plagte. Der Vizekönig bemerkte erst nach einem Moment, dass sie genau das auch taten. Der Schweiß auf seinem kahlen Schädel und seiner blassen Haut wurde von einer Magie erzeugt, die jenen einfachen Zauber der Edelsteine bei Weitem übertraf.
    Es rief ihn schon wieder.
    Es war hungrig.
    Gwyn glitt aus dem Bett und ging rasch über den kühlen Marmorboden seines Schlafgemachs zu der roten Eichentür in der Steinwand am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Er legte die Rechte auf den Messingtürknauf und spürte die Vibrationen der Energie, die im nächsten Raum pulsierte.
    Er drehte den Knopf erst nach einigen Sekunden. Dann schritt er in den Raum, als würde er hundert gekrönte Häupter kleinerer Staaten begrüßen, obwohl er nichts weiter trug

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