Elfen wie Stahl
Tisch und blickte darauf. Die Schrift auf dem Pergament bestand nur aus Strichen und Punkten.
»Sie ist verschlüsselt«, sagte er. Zum ersten Mal in dieser Nacht hatte er das Gefühl, die Situation zu kontrollieren. »Ich habe eine Zeit im Schwarzen Raum verbracht, als ich meine Karriere im Diplomatischen Korps begonnen habe«, erklärte er. Dieses Schattending vor ihm hatte ebenfalls einmal für den Königlichen Kryptologischen Dienst Codes geknackt. Er
beugte sich vor, um das Pergament genauer zu betrachten. »Ich erkenne das Muster â es ist ein Liniencode, der eigentlich ganz einfach zu entschlüsseln ist. Es überrascht mich, dass Ihr meine Hilfe dafür braucht.«
Ihr Emissär fauchte. Der Drache hob den Kopf und starrte den Vizekönig mit einem blutunterlaufenen Auge an, bevor er seine Mahlzeit fortsetzte.
» Die Botschaft interessiert Uns nicht.« Die Temperatur in dem Raum sank noch weiter.
Der Vizekönig gab seine Verstellung auf und schlang die Arme um seinen Körper. Jetzt half nicht einmal mehr die warme Luft, die durch das Fenster hereinwehte. Sein Atem bildete vor ihm Wolken, und er wusste, dass er den Raum bald verlassen musste oder auf die absurdeste Weise in diesem schwülen, erstickend heiÃen Land sterben würde, nämlich durch Erfrieren. Er hatte sich gerade entschlossen, zur Tür zu rennen, als die Platte des Drachentisches zu schimmern begann und das Pergament in seiner Oberfläche verschwand. Der Vizekönig blinzelte und starrte erneut dorthin. Das solide Holz veränderte sich vor seinen Augen, und er blickte plötzlich in einen klaren blauen Himmel.
Er vergaà die Kälte und beugte sich über den Tisch. Es fühlte sich an, als würde er sich über den Rand einer Klippe neigen.
Sein Blickwinkel war der eines geflügelten Wesens. Er erkannte sofort die Ebene von Qundi, wo die verfilzte Masse von Schlingpflanzen in einer Hitze schimmerte, die er sich in diesem Moment nicht vorstellen konnte. Während er hinabsah, bemerkte er ein Regiment, das über die Ebene marschierte. Es bildete eine schwarze Linie durch die grüne Vegetation. Der Anblick verblasste und wurde von einem nächtlichen Bild ersetzt, das das gleiche Regiment jetzt in einem Lager zeigte.
Die Bilder erschienen in dem Holz, und der Vizekönig sah den Angriff von Faeraugs, den verzweifelten Kampf und sogar den Streifen Pergament, der in den Rachen des Sreex geworfen wurde, dessen Leib jetzt im Magen des Drachen ruhte, kaum zwei Meter von ihm entfernt.
Er sah alles.
»Benutzt es gut, und beschützt es vor Schaden«, sagte ihr Emissär. Eine kalte Brise pfiff durch den Raum, dann war das Wesen verschwunden.
Doch der Vizekönig bemerkte es kaum. Er umklammerte den Rand des Tisches und nahm das eisige Brennen in seinen Handflächen in Kauf.
»Zeig mir mehr!«
26
»NÃRDLICH VON UNS liegt ein kleines Dorf am Ufer des Olopol«, erklärte Konowa und hielt dem Prinzen die Karte hin, damit er ebenfalls einen Blick darauf werfen konnte.
Sie ritten an der Spitze des Regiments, während es über die Ebene marschierte. Konowa hatte es aufgegeben, die Tage zu zählen, die sie bereits unterwegs waren, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Und immer noch war kein Ende in Sicht. So weit Menschen-, Elfkynan-, Zwergen- oder Elfenaugen sehen konnten, flimmerte die Hitze über Schlingpflanzen, die sich über verborgenen Schrecken zu wölben schienen.
Der Prinz lieà die Zügel auf den Hals des Pferdes sinken und schob sich den Tschako mit beiden Händen aus der Stirn. Er entblöÃte dadurch eine deutlich wahrnehmbare Linie, welche die blasse weiÃe Haut seiner Stirn von der nun höchst unköniglich rötlichen Färbung seines Gesichtes trennte. Unter den Achselhöhlen seiner silbergrauen Uniform hatten sich dunkle SchweiÃflecken gebildet, und er rutschte unaufhörlich in seinem Sattel herum, dessen Fellpolster er längst abgenommen hatte. Konowa wusste, dass der Prinz einen üblen Hitzeausschlag entwickelt hatte, eine Geschichte, die Rallie ihm in der Nacht zuvor nur allzu gerne weitererzählt hatte.
Ich hoffe, du reibst dir einen Wolf, dachte Konowa, während er sorgfältig darauf achtete, sich nichts anmerken zu
lassen, als er sich mit der Karte ein wenig weiter zu ihm hinüberbeugte.
»Was? Oh, ja, gut. Schaffen wir es bis zum Einbruch der Dunkelheit bis dorthin?«
Weitere Kostenlose Bücher