Elfen wie Stahl
hatte ebenso viele Freier gehabt, wie es Blätter an Bäumen gab. Warum also fand sie ausgerechnet diesen Elf so faszinierend? Er war Jarahta Mysor, ein Gezeichneter. Und obwohl sie wusste, dass es nicht stimmen konnte, hätte sie geschworen, dass sie Eisen in seinem Blut riechen konnte, wenn er ihr nahe war. Er war laut, impulsiv, störrisch und, was am schlimmsten war, offensichtlich nicht im Geringsten an ihr interessiert. Seit sie das Lager erreicht hatten, hatte er sie kein einziges Mal besucht, sondern stattdessen seine ganze Zeit damit verplempert, mit dem Herzog zu trinken. Sergeant Lorian dagegen war ganz eindeutig an ihr interessiert. Die vier Soldaten, die sie heute eskortierten, waren von ihm höchstpersönlich ausgesucht worden. Lorian spielte mit dem Gedanken, sich ein Offizierspatent zu kaufen, was seine Aussichten bei ihrem Vater sicherlich verbessern und auch sie beeindrucken würde, wie sie zugeben musste.
Aber er war nicht Konowa.
Genug, tadelte sie sich. Dafür ist später noch genug Zeit. Sie sah sich erneut um, überzeugte sich, dass sie allein war, und ging ein paar Schritte weiter, bis sie einen kleinen Flecken blanke Erde unter einem groÃen Seifennussbaum fand. Sie schloss einen Moment die Augen und erforschte das Gebiet mit ihren Sinnen, suchte nach einem Zeichen, fand jedoch wie üblich nichts.
Sie öffnete die Augen wieder, setzte sich mit gekreuzten Beinen auf die Erde und begann mit dem Atemritual. Das Vogelgezwitscher verstummte, kurz darauf auch das Summen der Insekten, und schlieÃlich raschelten nicht einmal mehr die Blätter der Bäume. Beim Einatmen woben ihre Hände komplizierte Muster in die Luft vor ihren Augen. Beim Ausatmen wischte sie mit ihren Händen über eine imaginäre Ebene und löschte die Muster aus, die vor ihr schwebten. Dann vertiefte sie sich weiter in die Materie des Waldes und fühlte, wie sie gestreckt und gezogen wurde, als würden gewaltige Schwingen sie emportragen. Ihr ätherisches Wesen erhob sich immer höher. Die Zeit wurde knapp.
Als ihre Atemzüge sich verlangsamten, wurden die Muster, die sie mit den Fingern wob, immer komplexer, so brillant, dass keine Näherin jemals mit ihr hätte mithalten können. Sie erstrahlten in silbernem Licht. Visyna lächelte und schloss die Augen. Die Erde schien unter ihr zu versinken, und ihr Körper zitterte und schwankte, als seine Essenz verschoben und neu arrangiert wurde, wie Wasser in Wasser.
Als sie die Augen wieder öffnete, war der Wald von Licht erfüllt. Ein strahlender Stern schwebte direkt vor ihr, gebadet in silbernes Licht. Um ihn herum schillerten brillante Luftspiegelungen. Visyna zitterte und staunte erneut über die Gefühle, die sie durchströmten. Sie empfand Frieden, Bewunderung und noch etwas anderes, das sie nie genau zuordnen konnte.
Der Stern sprach. Seine Stimme klang belegt und langsam, so ganz anders als das brillante Licht, das ihn umhüllte. Die Worte brachen aus ihm heraus wie ein Bergrutsch.
»Diene, mein Kind, dann werde ich dein Volk befreien.«
»⦠die Medizinleute haben eine Creme daraufgeschmiert. Siehst du? Es wird schon besser.« Wie um seinen Worten zu widersprechen, kratzte sich Yimt.
»Sei still«, zischte Alwyn aus dem Mundwinkel. »Der Korporal wird dich gleich bestrafen, weil du in der Formation redest. AuÃerdem will ich hören, was sie sagen.«
Alwyn starrte auf das improvisierte Podest, das mitten im Lager errichtet worden war. Die Sonne brannte auf die versammelten Soldaten herunter. Die Hitze war so stark wie in einem Hochofen und erzeugte eine Mischung aus Schweià und anderen Gerüchen, die zwischen den angetretenen Soldaten waberte und die Sanitäter auf Trab hielt; Letztere mussten ständig irgendwelche Soldaten wegschleppen, die das Bewusstsein verloren hatten. Königliche Banner hingen schlaff von Lanzen herunter, die von ebenfalls unter der Hitze leidenden Kavalleristen der Palastwache gehalten wurden. Sie waren in ihren glänzenden weiÃen Pelztschakos und den hochgeschlossenen silbergrünen Uniformjacken angetreten. Ihr Kampf gegen den Hitzschlag signalisierte die Anwesenheit keines Geringeren als des Thronfolgers: Prinz Tykkin.
»Der da, der Aufgeblasene, das ist der Prinz«, erklärte Yimt, der zwischen den Soldaten vor sich hindurchspähte.
Alwyn blinzelte durch die SchweiÃtropfen, die über seine Brillengläser
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