Elfenblick
Grüppchen nicht zu genau in Augenschein nehmen würden. Zum Glück schienen die Uniformierten den Anführer gut zu kennen, nickten ihm respektvoll zu und winkten die Neuankömmlinge gelangweilt durch das Tor. Erleichtert stieß Mageli die Luft aus. Dieser Teil ihres Plans hatte besser funktioniert, als sie zu hoffen gewagt hatte. Nun musste sie nur noch Erin finden.
Mageli glaubte, dass alle diese Gelehrten zum Prinzen gingen, um ihn zu untersuchen und ihre verschiedenen Heilkünste an ihm anzuwenden. Daher beschloss sie, einfach der Gruppe zu folgen, mit der sie soeben durch das Tor gelangt war.
Ihr Weg führte zunächst durch eine lange Halle. An beiden Seiten standen entlang der Wände hohe Säulen aus spiralförmig gedrehten Wurzeln, die oben in großen Bögen zusammenwuchsen wie in einem Kirchenschiff. Breite Holztüren, fast ebenso schön mit Schnitzereien verziert wie die Eingangstore zum Palast, führten vermutlich in weitere Räume, doch sie waren alle verschlossen. Schade! Mageli hätte gern einen Blick in eines der Zimmer geworfen. An zwei Stellen führten breite Freitreppen in die höher gelegenen Stockwerke.
Der Boden der langen Halle bestand aus feinsten Mosaiken, deren Steine so vielfarbig und intensiv schillerten, dass Mageli sicher war, es müsse sich um echte Edelsteine handeln. Die Motive stellten Szenen aus der Natur dar: Bäume, die sich im Wind bogen, ein plätschernder Fluss, prächtige Vögel mit gespreiztem Gefieder.
Ein Flirren lag in der Luft, winzige Lichtpunkte, die mal hierhin und mal dorthin zu schweben schienen. Mageli strengte sich an, um ihren blitzschnellen Bewegungen mit den Augen zu folgen, und erkannte, dass es sich um kleine Falter handelte. Durch die Vibration ihrer Flügel erzeugten sie ein schwaches Leuchten, das die Halle wie einen nächtlichen Zauberwald wirken ließ.
Auch hier patrouillierten einige Uniformierte, würdigten Mageli aber keines Blickes. Vor einem weiteren Tor am Ende des langen Ganges blieb die Gruppe schließlich stehen und ihr Anführer klopfte mit dem Knauf seines Stabes dreimal dagegen. Augenblicklich schwang einer der beiden Flügel auf und die Neuankömmlinge strömten hindurch, zuletzt Mageli. Geräuschlos schwang das Tor hinter ihnen zu.
Das hier konnte unmöglich Erins Zimmer sein! Der Saal hatte enorme Ausmaße ‒ die Decke war so hoch, dass Mageli vermutete, der Raum müsse sich über die ganze Höhe des Palastes erstrecken. In den nach oben strebenden Wänden waren leuchtende Mosaiksteine eingearbeitet, die den Saal in ein feuriges Farbenmeer tauchten. Und überall in diesem riesigen Saal waren Elfen. Eng aneinandergedrängt standen sie in Gruppen zusammen und diskutierten. Was war das für eine chaotische Versammlung?
In diesem Moment erklang ein lauter Gong vom anderen Ende des Saales. Augenblicklich kehrte Ruhe ein und alle Elfen wandten sich nach vorn. Mageli stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte aber nichts als Köpfe sehen. In die Stille hinein ertönte eine tiefe, melodische Stimme, die jedoch müde und kraftlos klang.
»Ich danke euch, dass ihr meinem Ruf so schnell gefolgt seid! Wie ihr sicher alle gehört habt, hat eine mysteriöse Krankheit den Prinzen befallen. Seit mehreren Tagen ist er nicht mehr aus seinem tiefen Schlaf erwacht, ansonsten zeigt er keinerlei Symptome. Ich möchte deshalb diejenigen unter euch, die eine Heilung für diese Krankheit kennen, bitten vorzutreten.«
Das musste der König sein, der sprach. Und seine Verzweiflung schien groß zu sein. Sosehr Mageli sich wünschte, dass einer dieser Magier und Heiler Erin helfen könnte, so genau wusste sie in diesem Moment auch, dass alle Heilkunst hier vergebens war.
Du bist die Einzige, die mir helfen kann.
Sie erinnerte sich ganz genau an Erins Worte. Und sie war fest entschlossen, ihr Versprechen zu halten und ihm zu helfen. Was auch immer sie dafür tun musste! Doch dafür musste sie ihn vor allem erst einmal finden.
Während im Saal das Stimmengewirr anschwoll, schlüpfte Mageli hinaus in die Eingangshalle und lehnte sich mit dem Rücken gegen die breite Holztür. Die Wachen befanden sich gerade am anderen Ende der langen Halle. Mageli musste sich schnell entscheiden, wo sie nach Erin suchen wollte. Zu beiden Seiten ging jeweils ein schmalerer Gang ab und Mageli wählte spontan den linken. Eng an die Wand gedrückt, hastete sie durch den schwach beleuchteten Gang. Sie kam an mehreren Türen vorbei und drückte die Klinken herunter: Sie waren alle
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