Elfenblick
Regen war sie direkt in die Kanalisation geraten.
»Umdrehen«, sagte eine beherrschte, tiefe Stimme hinter ihr. »Ganz langsam.«
Mageli befolgte den Befehl und sah sich Auge in Auge mit einem Elfen, der sie mit starrem Blick musterte. Seine Iris besaß eine ungewöhnliche rötlich braune Färbung, überlegte Mageli gerade, als hinter ihr die Tür mit einem Krachen aufflog und der Blick des Elfen abgelenkt zur Seite zuckte. Auch Mageli schaute zur Tür, durch die nun die vier Wachen drängten.
»Ah, Meister Meriant, gut«, stieß die Amazone hervor. »Wir übernehmen den Eindringling wieder.«
Der Angesprochene änderte nichts an seiner Haltung. Noch immer hielt er sein dunkelrot schimmerndes Schwert direkt auf Mageli gerichtet.
»Was soll diese Störung?«, fuhr er die Wachen an. »Wer ist dieses Mädchen? Und was will sie hier?«
»Sie sagt, sie will zu Prinz Erin«, antwortete die Anführerin und klang ein wenig trotzig dabei.
Der Mann mit dem Schwert in der Hand schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Geht. Ich werde wohl alleine mit ihr fertig werden.«
»Aber …«, wandte die Amazone ein, »… wir sollten sie besser ins Verlies bringen.«
»Geht«, forderte er mit Nachdruck.
Und tatsächlich zogen sich die vier Wachen auf einen Wink ihrer Anführerin zurück.
Verwundert musterte Mageli den Mann, der sie mit seinem Schwert in Schach hielt. Er trug sein dunkles Haar schulterlang, nur an seinen Schläfen fielen zwei schmale geflochtene Zöpfe bis hinunter zu seiner Hüfte. Um seinen Hals lag ein breiter goldener Reif und genau über der Kehle war ein leuchtend roter Edelstein darin eingearbeitet. Mageli kannte sich mit Edelsteinen nicht besonders gut aus, aber sie vermutete, dass es sich um einen Rubin handelte. Die Züge des Fremden waren makellos bis auf eine lange Narbe, die von der Stirn quer über sein linkes Auge bis hinunter zum Mundwinkel eine tiefe Schneise in sein Gesicht schlug.
Obwohl seine Züge verschlossen wirkten, war da etwas in diesem Gesicht, das Mageli Vertrauen einflößte. Dieser Mann war ihr aus irgendeinem Grund wohlgesinnt, das spürte sie. Na ja, mal davon abgesehen, dass er seine Schwertspitze auf ihren Hals gerichtet hatte. Oder täuschte ihr Eindruck – und er würde ihr gleich die Kehle aufschlitzen?
»Was willst du hier?«, fragte er. Es klang fast neugierig.
»Ich muss zu Erin«, stieß Mageli hervor. »Ich muss ihm helfen. Ich habe es ihm versprochen.«
»Du hast es ihm versprochen, soso. Und wer bist du, wenn ich fragen darf?« Er wirkte ernsthaft interessiert, doch die Schwertspitze schwebte unverändert direkt vor Mageli und verunsicherte sie zunehmend.
»Ich bin Mageli … eine Freundin«, brachte sie heraus.
»Eine Freundin also«, sagte der Mann nachdenklich. Noch einmal ließ er die Schwertspitze wippen, dann senkte er die Waffe langsam, bis sie wie die Verlängerung seines Armes an seiner Seite hing. »Eine Freundin kann der Prinz wirklich gebrauchen. Er hat nicht viele Freunde hier«, fügte er hinzu, wobei es Mageli schien, dass er mehr zu sich selbst sprach.
»Sie töten mich nicht? Und Sie lassen mich nicht einsperren?« Auch wenn Mageli gespürt hatte, dass dieser Mann ihr nichts Böses wollte, war sie nun überrascht. »Warum?«
»Das Amulett.« Der Mann hob das Schwert wieder und deutete auf Magelis Brust. Unwillkürlich zuckte sie zurück. Sie hatte ganz vergessen, dass sie das Lederband mit dem Anhänger wieder übergestreift hatte. Vermutlich war es ihr bei der Flucht vor den Palastwachen aus dem Ausschnitt gerutscht. Sofort ließ der Mann die Hand wieder sinken. »Deshalb habe ich dich nicht getötet.«
Plötzlich ging Mageli ein Licht auf: Wie hatte die Anführerin der Wachen den Mann genannt? Meister Meriant! Das war genau der Name, den auch Belena benutzt hatte, als sie von ihrem Informanten im Palast gesprochen hatte. Dieser Mann war ein Verbündeter von Rikjanas Kreis. Was für ein riesiges Glück sie hatte!
»Außerdem«, fuhr Meriant unbeirrt fort, »hat Erin von dir erzählt.«
»Er hat von mir erzählt«, echote Mageli verwirrt.
»Bevor er krank wurde, ja. Wie gesagt: Erin hat hier nicht viele Freunde, leider. Ich bin einer seiner engsten.«
Mageli schluckte die Frage hinunter, was genau Erin über sie gesagt hatte, und fragte stattdessen: »Und wer sind Sie?«
Der Mann schenkte ihr ein Lächeln, das die Narbe in seinem Gesicht in Bewegung brachte und dadurch ein bisschen gruselig wirkte. »Ich bin Meriant, Erins
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