Elfenblut
die Einzige hier bin, die man nicht versteht.«
Pia sah sie nur verständnislos an, und Alica machte eine Kopfbewegung zur Tür, die Brack hinter sich offen gelassen hatte. Sie glaubte einen Schatten davonhuschen zu sehen und das gedämpfte Geräusch leichter Schritte zu hören.
»Lasar«, sagte Alica. »Ich fürchte, er hat alles gehört. Wenigstens das, was du gesagt hast.«
»Verdammt!« Pia investierte noch eine geschlagene Sekunde dafür, Alica angemessen zornig anzufunkeln, dann fuhr sie auf dem Absatz herum und raste hinter dem Jungen her.
Obwohl sie immer zwei Stufen auf einmal nahm und das letzte Viertel der Treppe mit einem einzigen Satz überwand, kam sie gerade noch rechtzeitig genug im Schankraum an, um zu sehen, wie die schmale Tür hinter der Theke zufiel und Brack ein verdutztes Gesicht machte – das noch viel verdutzter wurde, als sie auf ihn zufegte und er gerade mal einen hastigen Schritt zur Seite machen konnte, um nicht über den Haufen gerannt zu werden.
»Aber du weißt doch, dass du nicht …«
Der Rest des Satzes ging im Knall der Tür unter, als Pia auf den Hof hinausstürmte.
Diesmal kam sie immerhin rechtzeitig genug, um zu sehen, wie Lasar über die mannshohe Mauer auf die andere Seite des kleinen Innenhofes verschwand.
Pia schritt nur umso schneller aus, hob die Arme und überwand das Hindernis ohne die geringste Mühe und nicht nur eleganter, sondern auch deutlich schneller als Lasar vor ihr. Manchmal war es eben doch ganz praktisch, in Liliput gestrandet zu sein.
Sie gelangte in eine selbst für hiesige Verhältnisse schmale Gasse zwischen zwei Häusern, in der es dunkel war und erbärmlich stank. Der Wind fing sich zwischen den vereisten Mauern und schnitt so mühelos durch ihren Umhang, als wäre er gar nicht da. Von Lasar war selbst verständlich keine Spur zu sehen.
Pia überlegte eine Sekunde lang. Wenn sie sich nach links wandte, kam sie zurück zu dem, was sich hier Hauptstraße nannte. Dorthin würde sich Lasar wohl kaum gewandt haben – zumal die beiden Posten noch dort standen, die Istvan zu ihrer Sicherheit zurückgelassen hatte –, also wandte sie sich nach rechts, begann nach zwei Schritten zu rennen und erreichte nach einem Dutzend weiterer eine zweite Mauer, die die Gasse abschloss und die sie noch müheloser überwand als die erste.
Belohnt wurde sie mit dem Anblick eines vollkommen fassungslosen Lasars, der schwer atmend an einer Mauer lehnte und offensichtlich mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit, sie sozusagen mit einem großen Schritt über die Mauer hinwegtreten zu sehen, über die er selbst gerade so mühevoll geklettert war.
»Hi!«, sagte Pia.
Lasar klappte den Mund auf und brachte immerhin ein komisch klingendes Krächzen heraus.
»Entschuldige«, sagte Pia. »Da, wo ich herkomme, heißt das so viel wie hallo, guten Tag, wie geht’s … such dir irgend-was aus.«
Lasar starrte sie nur noch erschrockener an.
»Womit wir beim Thema wären«, fuhr Pia fort. »Da, wo ich herkomme.«
Lasars Augen wurden noch größer, und nun erschien eindeutig ein Ausdruck von Angst darin.
»Du hast gehört, was ich gerade zu Alica gesagt habe, nicht wahr?«, vermutete sie.
Die Angst in Lasars Augen explodierte regelrecht. »Ich habe nicht gelauscht, Erhabene!«, versicherte er.
»Sagen wir: nicht absichtlich«, sagte Pia. »Und hör mit diesem Erhabene-Unsinn auf.«
»Wie Ihr befehlt, Erhabene«, antwortete Lasar.
»Aber du hast gehört, was ich gesagt habe«, beharrte sie.
Lasar schwieg.
»Das über das Schiff und die Insel, von der wir kommen.«
Lasar schwieg weiter.
»Wirst du mich verraten?«, fragte Pia geradeheraus.
»Bestimmt nicht«, versicherte Lasar hastig. »An wen … ich meine, warum sollte ich denn …«
»Immerhin weißt du, dass wir Istvan nicht die Wahrheit gesagt haben«, fuhr Pia fort.
Lasar hob die Schultern, als wäre es nicht nur das Selbstverständlichste von der Welt, Istvan zu belügen, sondern nicht einmal der Rede wert. Dann lächelte er. »Er glaubt Euch sowieso nicht, Erhabene. Niemand hat je von dieser Insel gehört.«
»Die Welt ist groß.«
»Und woher kommt Ihr, Erhabene?«
Wenn ich das nur selbst genau wüsste, dachte Pia niedergeschlagen. Laut sagte sie: »Das ist nicht die Frage, Lasar. Ich weiß nicht einmal genau, wo wir sind. Oder wie wir von hier wegkommen.« Ohne viel Hoffnung fügte sie hinzu: »Du weißt es nicht zufällig?«
Lasar sah sie nur traurig an.
»Kann ich mich darauf verlassen, dass
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