Elfenblut
Sie hat dich getötet! Bei Kronn! Sie hat ihn umgebracht!«
Pia stemmte sich mühsam hoch und wäre in der Pfütze aus glitschigem Blut beinahe wieder ausgeglitten. Erschrocken registrierte sie, wie sich die Aufmerksamkeit der Menschen ringsum von dem immer noch aufgeregt im Kreis laufenden Hengst auf sie hin verlagerte. Vier oder fünf Männer kamen näher, und auf den meisten Gesichtern war im ersten Moment nichts als Verwirrung und Schrecken zu erkennen, hier und da aber auch Zorn.
»Nani, ich habe nicht …«, begann sie, doch die kleinwüchsige Frau unterbrach sie, indem sie mit einer blutbesudelten Hand auf sie deutete und noch einmal und noch lauter schrie:
»Sie hat ihn umgebracht! Sie …«
Kerenetat hob mühsam eine Hand und versuchte ihren Arm hinunterzudrücken. Seine Kraft reichte dazu nicht mehr aus, doch Nani hörte zumindest auf zu schreien und wandte das Gesicht wieder ihrem Mann zu. Pia fühlte sich entsetzlich. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, und ihr Herz schlug immer schneller und heftiger. Mühsam stand sie auf und blickte auf ihre Hände hinab, die rot von Kerenetats noch warmem Blut waren. Es war nicht ihre Schuld, versuchte sie sich einzuhämmern. Der Hengst hatte den Mann getötet, nicht sie. Aber es waren ihre Hände, an denen sein Blut klebte, nicht nur wortwörtlich, sondern auch und vielleicht umso mehr im übertragenen Sinne. Wenn sie nicht gekommen wäre, wenn sie sich nicht in Dinge eingemischt hätte, die sie rein gar nichts angingen, wäre all das nicht passiert.
»Das …es tut mir leid«, murmelte sie. »Das wollte ich nicht.«
Nani warf ihr einen hasserfüllten Blick zu, aber sie sagte nichts, sondern beugte sich nur noch tiefer über ihren sterbenden Mann, dessen Lippen sich lautlos zu bewegen schienen, als versuche er ihr etwas zu sagen, ohne dass seine Kraft dafür noch reichte.
Jemand berührte sie sacht an der Schulter. Pia fuhr erschrocken herum und blickte ins Gesicht des Gardisten, der aufgestanden und unbemerkt näher gekommen war. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir jetzt gehen«, sagte er unsicher.
Die Menschenmenge, die sie umgab, war mittlerweile auf mindestens ein Dutzend angewachsen und wurde immer noch größer. Die meisten starrten sie einfach nur an – um präzise zu sein, eigentlich ihr Haar –, aber in etlichen Gesichtern waren auch Zorn und Wut zu lesen, und zumindest in einem Augenpaar blanker Hass.
»Ich … war das nicht«, murmelte sie lahm.
»Ich weiß«, antwortete der Soldat. »Aber es wäre trotzdem besser, wenn wir gehen.«
Wenn es dafür nicht zu spät war, dachte Pia. Die Menge wuchs immer rascher. Es mussten schon mindestens zwei Dutzend Männer sein, die sie wie eine lebende Mauer umgaben, und sie konnte spüren, wie die Stimmung kippte. Und was sollten sie auch denken? Keiner von ihnen war im Zelt dabei gewesen. Sie sahen nur das Blut an ihren Händen und auf ihrem Mantel, den sterbenden Mann und seine Frau, die sich über ihn beugte und sie beschuldigte. Der Soldat hatte recht. Sie mussten weg hier. Schnell.
Pia drehte sich herum und blieb nach einem einzigen Schritt wieder stehen, als ihr gleich zwei kleinwüchsige, aber kräftig gebaute Männer den Weg vertraten. Beide waren bewaffnet und einer blickte grimmiger drein als der andere.
»Was hast du mit Naninaranats Mann gemacht?«, grollte der Größere. Andere Stimmen murmelten drohend, und das Gefühl von Gefahr wurde so intensiv, dass Pia fast meinte, es anfassen zu können.
»Ich habe gar nichts gemacht«, antwortete Pia, so ruhig sie konnte. »Es war ein Unfall.« Als wäre sie nicht die letzte Person in gleich zwei Welten, von der sie Beistand erwarten konnte, sah sie zu Nani hin, aber die blickte nicht einmal in ihre Richtung, sondern hatte sich noch tiefer über ihren Mann gebeugt und ihr Ohr ganz dicht an seinen Mund gebracht, um zu lauschen. Seine Lippen bewegten sich, ohne dass Pia irgendetwas hörte, und er hustete Blut, das Nanis Wange und Kinn besudelte.
»Ein Unfall, so?«, fuhr der Kerl fort. Zwei weitere Burschen gesellten sich zu ihm, und Pia spürte, wie auch hinter ihr mindestens zwei Männer auftauchten, wenn nicht mehr. »Für mich sieht es eher so aus, als hättest du versucht, ihnen Flammenhuf zu stehlen.«
»Für mich auch«, pflichtete ihm eine Stimme aus der Menge bei.
»Das reicht!« Der Soldat trat mit einem schnellen Schritt zwischen sie und die Männer und legte demonstrativ die rechte Hand auf den
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