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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich irgendetwas bewegte und mit einer schrillen Stimme keifte, die der Nanis ähnelte. Kerenetat lag irgendwo, erschreckend weit weg, auf der anderen Seite des Platzes, spuckte mal Blut und schrie dann wieder aus Leibeskräften, und der Wachsoldat war vollkommen verschwunden. Flammenhuf hatte sich endgültig losgerissen und trabte schnaubend und zornig wiehernd im Kreis. Mehrere Männer waren herbeigeeilt – vermutlich schon zuvor angelockt vom Geschrei und der Aufregung, die aus dem Zelt gedrungen waren – und versuchten den Hengst zu bändigen, wurden aber von seinen heftig schnappenden Zähnen und ausschlagenden Hufen auf respektvollem Abstand gehalten. Überall waren Schreie zu hören und hastig trappelnde Schritte näherten sich.
    Pia rappelte sich benommen auf, suchte nach dem Wachsoldaten und entdeckte ihn nur ein paar Schritte entfernt. Er hatte sich aufgesetzt und wirkte eher verdattert als verletzt – was man von Flammenhufs unglückseligem Besitzer nicht sagen konnte. Er hatte aufgehört zu schreien und wälzte sich jetzt stöhnend in einer allmählich größer werdenden Lache seines eigenen Blutes, das ihm nicht nur aus Mund und Nase, sondern auch aus den Ohren schoss. Der Anblick schnürte ihr schier die Kehle zu. Der Kerl war war ihr alles andere als sympathisch gewesen, und sie hätte ihm einen kleinen Denkzettel gegönnt (vielleicht auch einen etwas größeren, da war sie nicht wählerisch), aber sie begriff, dass er wirklich sehr schwer verletzt war, möglicherweise sterben würde. Und das hatte sie ganz gewiss nicht gewollt.
    Pia überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, dass es dem Hengst auch weiterhin gelang, die Männer auf Abstand zu halten, die ihn wieder einzufangen versuchten, ging zum Verletzten und ließ sich neben ihm auf die Knie sinken. Kerenetat wimmerte leise. Schaumiges hellrotes Blut quoll aus seinem Mund, und sie konnte riechen, dass er die Kontrolle über alle seine Körperfunktionen verloren hatte. Er war nicht nur schwer verletzt, begriff sie schaudernd. Er starb. Jetzt. Und irgendwie war es ihre Schuld.
    Ohne dass sie selbst genau hätte sagen können, was sie eigentlich tat, beugte sie sich vor, legte die Hand auf seine Stirn und lauschte in ihn hinein.
    Sein Schmerz explodierte in ihr wie ihr eigener. Etwas in ihm war zerbrochen und wühlte nun wie abgebrochene Messerklingen in seinem Leib, und sie konnte beinahe sehen, wie seine Lebensflamme – die ihr Ende ohnehin fast erreicht hatte – kleiner und blasser wurde. Es war nicht nur die Verletzung. Nicht nur der grausame Schmerz, den ihm zerschmetterte Knochen und zerrissene Organe bereiteten. Darunter war etwas anderes, Schlimmeres, eine schleichende Fäule, die seit Jahren in ihm fraß und ihn verzehrte. Und etwas … regte sich in Pia, griff wie mit einer unsichtbaren warmen Hand in den Sterbenden hinein und linderte seinen Schmerz. Es lag nicht in ihrer Macht, ihn zu retten. Die Verletzungen waren zu schwer, der Schaden viel zu groß, als dass irgendeine Macht dieser Welt sie noch heilen konnten. Aber sie betäubte seinen Schmerz, schon weil es in diesem Moment auch ihr eigener war und sie sich nicht erinnern konnte, jemals solche Pein erlebt zu haben, berührte etwas tief in seiner Seele und löschte auch die Furcht aus, die ihn quälte. Kerenetats Wimmern erstarb. Seine Augen, die trüb vor Schmerz gewesen waren, klärten sich, und an die Stelle der Furcht darin trat ein Ausdruck unendlich großen Erstaunens.
    »Ihr seid …«
    »Nicht sprechen«, unterbrach ihn Pia. »Versuch nicht zu reden. Das strengt dich zu sehr an.« Sie kam sich bei diesen Worten beinahe lächerlich vor. Was hatte er schon zu verlieren außer ein paar Sekunden, in denen der Schmerz vielleicht die einzige Verbindung war, die er noch zum Leben hatte?
    »Ihr …«, stöhnte Kerenetat. Noch mehr und helleres Blut quoll über seine Lippen, und der Rest dessen, was er hatte sagen wollen, ging in einem qualvollen Hustenanfall unter. Pia spürte, wie der Schmerz zurückkam, griff abermals in ihn hinein und betäubte ihn endgültig.
    Plötzlich wurden hinter ihr Schritte laut, dann gellte ein spitzer Schrei auf, und Kerenetats Frau stieß sie so grob zur Seite, dass sie in der Hocke das Gleichgewicht verlor und halb in die Blutlache stürzte, in der der Sterbende lag.
    »Keri!«, rief Nani. »Bei Kronn, Keri! Was hat sie dir angetan?« Schreiend warf sie sich über ihren sterbenden Mann, schloss ihn in die Arme und presste ihn an sich. »Keri!

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