Elfenblut
Schwertgriff, während sich die andere fester um den Stiel seiner Hellebarde schloss. »Verschwindet! Diese Frau steht unter Istvans persönlichem Schutz.«
Was niemanden sonderlich zu beeindrucken schien. Der Kreis aus bewaffneten Männern schloss sich nur noch enger um sie.
»Sie hat einen von uns umgebracht«, fuhr der Mann fort, der zuerst gesprochen hatte.
»Das hat sie nicht«, antwortete der Soldat. »Es war so, wie sie gesagt hat. Der Hengst hat ihn getreten. Ich war dabei und habe es gesehen.«
»Trotztem ist einer von uns ums Leben gekommen«, beharrte der Mann. »Und so etwas regeln wir hier unter uns. Geh aus dem Weg, wenn du nicht auch zu Schaden kommen willst!«
»Lasst sie in Ruhe!«
Pia war nicht die Einzige, die sich verwirrt herumdrehte und ein erstauntes Gesicht machte, als Nanis Stimme erscholl. Sie war laut und durchdringend und schrill wie immer, aber etwas war anders geworden, ohne dass Pia sagen konnte, was. Nani kniete noch immer neben Kerenetat, dessen Kopf zur Seite gerollt war. Seine Augen waren geschlossen, und in dem rosafarbenen Schaum vor seinem Mund erschienen keine frischen Bläschen mehr. Als Pia genauer hinsah, stellte sie fest, dass seine Brust aufgehört hatte, sich zu heben und zu senken. Er war tot.
»Was hast du gesagt?«, fragte der Redeführer.
»Lasst sie in Ruhe«, sagte Nani noch einmal. »Sie sagt die Wahrheit. Es war ein Unfall.« Fast zärtlich zog sie den Arm unter Kernetats Nacken hervor, stand auf und kam mit langsamen Schritten auf Pia zu. Ihr Gesicht war leer, ohne jeglichen Ausdruck, aber in ihren Augen war etwas Neues erschienen. Wo Pia vorher Hass und grenzenlosen Schmerz gesehen hatte, da war nun … Staunen? Ehrfurcht? Was um alles in der Welt hatte Kerenetat ihr mit seinen letzten Atemzügen gesagt?
»Flammenhuf hat sich losgerissen. Keri wollte ihn festhalten, und da hat er ausgetreten. Sie trifft keine Schuld.«
Pia konnte sie nur fassungslos anstarren. »Aber ich …«
»Es war nicht Eure Schuld, Herrin«, fuhr Nani fort. »Was ich gesagt habe, tut mir leid. Ich war von Sinnen vor Schmerz. Bitte vergebt mir.«
»Gerade hast du gesagt, dass sie ihn umgebracht hat«, beharrte der Mann vor Pia misstrauisch.
»Ja, und das war falsch«, antwortete Nani, ohne ihn auch nur anzusehen. »Und jetzt helft mir, diesen verdammten Gaul wieder einzufangen, damit Keri nicht ganz umsonst gestorben ist.«
»Wir sollten jetzt wirklich gehen«, murmelte der Gardist. Solange wir es noch können.
Pia antwortete mit einem angedeuteten Nicken und drehte sich erzwungen ruhig herum. Sie hatte sich getäuscht. Hinter ihr standen nicht zwei, sondern fünf Männer, die ausnahmslos bewaffnet waren, ihr aber gehorsam Platz machten – auch wenn sie spürte, dass es wohl eher aus Verwirrung geschah denn aus Respekt. Wahrscheinlich waren ihr Beschützer und sie gut beraten, wenn sie von hier verschwanden, bevor sich die Überraschung der Menge legte oder sich Nani doch noch eines Besseren besann.
Rasch, aber ohne zu rennen, gingen sie bis zur nächsten Gasse. Der Soldat beschleunigte seine Schritte noch einmal und bedeutete ihr mit ungeduldigen Blicken, es ihm gleichzutun, doch genau in diesem Moment erscholl hinter ihr ein schrilles Wiehern, und Pia blieb nicht nur stehen, sondern machte sogar kehrt und ging wieder ein paar Schritte zurück.
Etliche Männer hatten sich bereits darangemacht, Nanis Bitte zu erfüllen, und den geflügelten Hengst eingekreist. Keiner war dumm genug, seinen schnappenden Zähnen oder gar den tödlichen Hufen zu nahe zu kommen, aber sie bildeten mit ausgebreiteten Armen einen Kreis, der sich allmählich zusammenzog, um dem Tier auf diese Weise die Bewegungsfreiheit zu nehmen. Zwei oder drei andere Männer kamen mit Seilen angelaufen. Sie würden den Hengst wieder einfangen, begriff Pia, und der Gedanke bohrte sich wie ein glühender Dolch in ihr Herz. Sie kam sich vor, als hätte sie einen Freund verraten, und der Gedanke, dass es rein gar nichts gab, was sie tun konnte, machte es noch schlimmer.
»Wir sollten gehen«, drängte der Soldat. »Bitte!«
Pia nickte zwar, machte aber ganz im Gegenteil einen weiteren Schritt zurück. Sie wünschte, sie könnte irgendetwas tun, um diesem trotz allem immer noch prachtvollen Tier die Freiheit wiederzugeben, doch das lag nicht in ihrer Macht.
Der lebende Belagerungsring um Flammenhuf hatte sich mittlerweile weit genug zusammengezogen, um beinahe die Spitzen seiner gewaltigen Schwingen zu berühren,
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