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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Favelas vor den Killerkommandos der Polizei versteckten.
    »Du warst früher in einer Kinderbande«, vermutete sie.
    Lasar blieb ihr die Antwort auf diese Frage schuldig, was sie nicht weiter verwunderte.
    »Wie viele Kinder leben hier?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Lasar. »Wirklich nicht. Ich bin seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Vielleicht ein Dutzend. Manchmal mehr. Aber keine Angst. Sie werden uns nichts tun.«
    Vermutlich nicht, dachte Pia. Wenn es hier so war wie in ihrer Heimat, dann waren die Bewohner dieses Verstecks längst geflohen oder beobachteten sie allenfalls aus sicherer Entfernung. Sie konnten es sich nicht leisten, aufzufallen. Oder auch nur bemerkt zu werden.
    »Komm weiter«, sagte sie, noch immer auf dieselbe unbestimmte Art traurig. »Zeig mir den Rest.«
    Sie passierten zwei weitere Räume, die sich allenfalls in der Größe von der ersten Kammer unterschieden, gingen eine kurze, aus nur drei Stufen bestehende Treppe hinauf und standen dann vor einem weiteren Torbogen, in dem es tatsächlich noch eine Tür gab, ein riesiges schwarzes Monstrum, das mit rostigen Metallbändern verstärkt worden war und aussah, als wöge es mindestens eine Tonne. Pia rechnete damit, dass Lasar die Gelegenheit ergreifen und kehrtmachen würde, aber er gab ihr nur seine Fackel, packte mit beiden Händen zu und wuchtete die Tür mit erheblicher Anstrengung auf. Dahinter wartete lastende Schwärze.
    »Was ist das?«
    Lasar nahm seine Fackel wieder entgegen und hob die Schultern. »Eine alte Waffenkammer, glaube ich. Weiter haben wir den Turm nie erforscht. Wir haben es nicht gewagt. Es heißt, er wäre verwünscht.«
    Pia trat wortlos neben ihm durch die Tür und fand sich in einer sechseckigen Kammer wieder, in deren Wände zahlreiche unterschiedlich große und tiefe Nischen eingelassen waren. Zunächst sah sie nichts als Staub und Schmutz und uraltes Metall, aber ihr wurde auch rasch klar, warum Lasar diesen Raum als Waffenkammer bezeichnet hatte. Hier lagen überall Rüstungsteile, Waffen, eingedrückte Harnische, zerbrochene Schwerter und gesplitterte Bögen und Pfeile, abgebrochene Speere und verbogene Hellebarden und unzählige andere, ausnahmslos rostige und zerstörte Waffen und Kriegsutensilien. Sie überlegte einen Moment, den Raum nach etwas zu durchsuchen, was sich noch in halbwegs brauchbarem Zustand befand und sich mitzunehmen lohnte, dachte den Gedanken aber nicht einmal ganz zu Ende. Das hatten wahrscheinlich schon Generationen von Kindern besorgt. Hier gab es ganz bestimmt nichts, was das Mitnehmen noch wert gewesen wäre.
    Trotzdem trat sie an eine der Nischen heran und streckte die Hand nach dem verbeulten Harnisch aus, der darin aufgestellt war. Es war ein sonderbares, durch und durch unheimliches Gefühl. Das ehemals silberfarbene Metall war stumpf und fleckig geworden, seine Oberfläche porös wie uraltes Gusseisen. Was auf den ersten Blick wie die Spuren der Jahrhunderte aussah, das offenbarte sich auf den zweiten als Folgen gewaltsamer Beschädigungen: schwerer Hiebe und mit erbarmungsloser Kraft geführter Stiche und Schläge, vor denen dieser Harnisch seinen Träger beschützt hatte.
    Am Ende hatte dieser Schutz nicht gereicht.
    Die Erkenntnis kam blitzartig und mit absoluter Gewissheit: Der ehemalige Besitzer dieser Rüstung war tot, gestorben vor Hunderten und Hunderten von Jahren, und er war einen grausamen Tod in der Schlacht gestorben; ein Ende, so grässlich, dass sie das Echo seiner entsetzlichen Schreie nach all den Jahren noch in dem zerschrammten Metall hören konnte.
    Und was für den ehemaligen Besitzer dieses Harnischs galt, galt genauso für jedes einzelne andere Stück in diesem Raum, jeden Helm, jedes zerbrochene Schwert, jeden gesplitterten Pfeil und jede abgebrochene Dolchklinge. An all diesen Waffen klebte Blut, sie konnte es spüren. Etwas in ihr reagierte auf all den Schmerz und das endlose Leid, das diese Waffen gesehen und verursacht hatten. Sie fühlte sich schuldig. Nicht weil sie etwas mit diesem Grauen und sinnlosen Sterben zu tun hatte, sondern ganz einfach, weil sie noch lebte, weil ihr dieses Leid und die Qualen erspart worden waren. Es war ein vollkommen irrationales Gefühl, grundlos und dumm, doch es wurde mit jedem Atemzug stärker, als hätten die körperlos flüsternden Stimmen hier drinnen ihre Anwesenheit bemerkt und versuchten alle gleichzeitig, sich Gehör zu verschaffen. Pia wollte sich dagegen wehren, doch es gelang ihr nicht. Das

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