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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gefühl, Schuld an irgendetwas zu tragen, wurde ganz im Gegenteil mit jedem Moment stärker.
    »Wenn Ihr dann … wenn du dann alles gesehen hast, sollten wir vielleicht wieder gehen«, sagte Lasar nervös. »Warum …was suchst du eigentlich hier?«
    Diesmal blieb sie ihm die Antwort auf seine Frage schuldig, nicht weil sie selbst nicht wusste, warum sie hergekommen war, sondern weil sie gehofft hatte …
    Ja, was eigentlich?
    Pia hob die Schultern, drehte sich mit einem Ruck herum und bedeutete Lasar zu gehen. Er schloss die Tür der alten Waffenkammer sorgsam hinter ihnen, und Pia ließ ihn gewähren. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass es richtig war.
    Das lautlose Flüstern klang plötzlich enttäuscht, und die Stimmen wurden leiser, verstummten jedoch nicht ganz.
    Deutlich schneller, als sie gekommen waren, führte Lasar sie wieder zurück in die große Halle, und er beschleunigte seine Schritte sogar noch und steuerte das Tor an, das irgendwo unsichtbar vor ihnen in der Dunkelheit lag. Pia passte sich seinem Tempo ganz instinktiv an, doch dann blieb sie abrupt stehen, drehte sich halb herum und hob die Fackel höher. Sonderbar kantige Lichtreflexe sprangen die Stufen der gewaltigen Freitreppe hinauf und verschmolzen mit den Schatten an ihrem oberen Ende.
    »Worauf wartest du?«, fragte Lasar nervös.
    Statt zu antworten, hob sie die Fackel noch höher und machte einen Schritt auf die Treppe zu. Die Dunkelheit dort oben war so massiv wie eine Mauer, aber Pia war dennoch sicher, irgendwo dahinter eine Bewegung wahrgenommen zu haben.
    »Was ist dort oben?«
    »Nichts. Gar nichts«, versicherte Lasar hastig und in einem Ton, der Pia davon überzeugte, dass er dort oben so ziemlich alles vermutete, nur nicht nichts.
    »Ich war niemals dort oben«, beteuerte Lasar. Das wiederum glaubte sie ihm. »Niemand geht dort hinauf. Es heißt, in den Sälen spuken die Geister der Getöteten.«
    »Die Geister der Getöteten?«
    »Hier drinnen fand die letzte große Schlacht statt«, antwortete Lasar. »Es heißt, die Elfen hätten sich hier in diesem Turm verschanzt, um ihren letzten Widerstand zu leisten.«
    »Heißt es das oder war es so?« Und welche Elfen überhaupt? Pia wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging weiter. Die Geister der Getöteten? Wohl eher ziemlich kleine und vor Schmutz starrende Geister, die aus großen Augen und mit klopfenden Herzen zu ihnen herabstarrten und sich fragten, wann zum Teufel – nein, verbesserte sie sich in Gedanken: bei Kronn – die frechen Eindringlinge endlich verschwanden, damit sie wieder in ihre Verstecke zurückkehren konnten.
    Aber dort oben war auch noch mehr …
    Sie machte einen weiteren Schritt, und jetzt war eindeutig ein Klang von Entsetzen in Lasars Stimme: »Geh nicht dort hinauf! Es ist gefährlich!«
    »Und woher willst du das wissen, wenn noch niemand dort oben gewesen ist?«, fragte Pia.
    »Weil keiner, der jemals hinaufging, je zurückgekommen ist«, antwortete Lasar.
    Das war ein Argument, das sie immerhin im Schritt stocken ließ. Wenn auch nur für einen Atemzug.
    »Bleib einfach hier und warte auf mich, wenn du Angst hast«, sagte sie. »Wenn ich nach zwanzig Minuten noch nicht zurück bin, dann haben mich vermutlich die Geister gefressen, und du kannst nach Hause gehen.«
    Das sollte witzig klingen, tat es aber nicht, nicht einmal in ihren eigenen Ohren. Ihre innere Stimme beharrte immer lauter darauf, dass sie auf Lasar hören und von hier verschwinden sollte, solange es noch ging, aber stattdessen setzte sie ihren Weg fort und blieb nur am Fuße der Treppe noch einmal kurz stehen, um ihre Fackel zu heben. Weitere Stufen tauchten flackernd aus der Dunkelheit auf und verschwanden wieder. Sie ging weiter.
    Pia zählte die Stufen, kam irgendwo zwischen dreißig und vierzig durcheinander und gab mit einem gedanklichen Achselzucken auf. Wozu auch? Diese Treppe war schon jetzt höher, als die ganze Halle sein konnte, wozu also einer Unmöglichkeit noch eine weitere hinzufügen?
    Irgendwann erreichte sie das obere Ende der Treppe, einen breiten, halbmondförmigen Absatz ohne Geländer, blieb noch einmal stehen und blickte zu Lasar hinab. Sie erschrak, als sie sah, wie tief sich seine Fackel unter ihr befand; und wie winzig sie war. Diese Treppe war eindeutig höher, als sie sein konnte, basta.
    Und jemand war hier, das konnte sie spüren. Jemand starrte sie an. Plötzlich war sie ganz und gar nicht mehr sicher, dass es nur ein paar Kinder sein

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