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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herkommen würde. Aber warum erstaunte sie das eigentlich? Brack war alles andere als dumm, das hatte sie schon längst begriffen. Dann begriff sie noch etwas, nämlich ihren eigenen Denkfehler: Warum wollte Brack eigentlich nicht, dass sie hierherkam?
    »Er hat dir also befohlen, auf mich aufzupassen und dafür zu sorgen, dass ich diesem Turm nicht zu nahe komme«, wiederholte sie. »Aber nicht heute Abend.«
    Lasar nickte stumm. Sein Gesicht schien lediglich aus großen angsterfüllten Augen zu bestehen.
    »Dann haben wir ein Problem«, sagte Pia. »Du könntest ihm sagen, dass du mich hier gesehen hast. Aber dann müsstest du ihm auch erklären, wie ich überhaupt hereingekommen bin.« Sie kam sich ein bisschen schäbig bei diesen Worten vor, aber es machte ihr zugleich auch nicht das Geringste aus, hinzuzufügen: » Ich habe die Tür nicht aufgemacht.«
    »Das stimmt«, sagte Lasar nervös.
    »Schon gut.« Pia winkte großmütig ab. Vielleicht wurde es Zeit, die Peitsche zusammenzurollen und das Zuckerbrot herauszuholen. »Ich behalte dein kleines Geheimnis für mich, und dafür vergisst du, dass du mich hier gesehen hast … und wie ich hereingekommen bin.«
    Lasar sah sie weiter aus großen Augen an. Also gut, allzu viel Zucker war anscheinend nicht auf dem Brot gewesen. Aber schließlich nickte er.
    »Dann geh voraus«, sagte Pia.
    »Voraus?«
    Pia machte eine ungeduldige Geste mit der Fackel und wünschte sich sofort, es nicht getan zu haben, noch bevor diese ganz zu Ende war, denn das Licht erfüllte den Raum mit undeutlich huschender Bewegung und springenden Schatten und schuf Leben, wo keines war und auch keines sein sollte.
    »Wenn du schon hier gewesen bist, dann kennst du dich doch aus, oder?«
    »Nein, ich …«
    »Auf jeden Fall besser als ich«, beharrte Pia. »Also geh voraus. Spiel noch mal den Fremdenführer.«
    Es war zu dunkel, um den Ausdruck auf Lasars Gesicht wirklich zu erkennen, und die Schatten narrten sie zusätzlich. Doch Pia konnte seine Furcht beinahe riechen. »Aber Brack hat mir aufgetragen …«, begann er kläglich.
    »Mir ein bisschen nachzuspionieren«, unterbrach ihn Pia. »Ich weiß. Das hast du ja nun auch getan, also bist du deinen Pflichten nachgekommen. Und jetzt richtet eine Dame eine Bitte an dich, und es wäre nett, wenn du sie erfüllen würdest.« Ihre Stimme wurde weicher, und sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, von dem sie wenigstens hoffte, dass Lasar es sah. »Es wäre wirklich nett von dir.«
    »Aber ich kenne mich ja auch nicht aus«, behauptete Lasar. »Ich war ein paarmal hier, aber niemals sehr weit. Eigentlich kenne ich nur diese Halle und zwei oder drei angrenzende Räume.«
    »Dann kennst du genau eine Halle und zwei oder drei Räume mehr als ich«, sagte Pia. »Also, geh voraus … du weißt nicht zufällig, wo der Lichtschalter ist?«
    Lasar starrte sie verdattert an, und Pia machte eine wegwerfende Geste. Der Junge zögerte noch einen spürbaren Moment, dann verschwand er und kam mit einer zweiten Fackel zurück. Dafür, dass er so selten hier gewesen war, dachte Pia, kannte er sich ziemlich gut aus.
    »Wie lange steht dieser Turm schon hier?«, fragte sie. »Seit tausend Jahren?«
    Lasar verstand sofort, was sie meinte. »Die … die Dinger liegen hier überall herum«, improvisierte er. »Angeblich wartet der Thron auf die Rückkehr seines Besitzers.«
    »Na, jetzt bin ich ja da«, witzelte Pia.
    Lasar lächelte nicht, und auch Pia wünschte sich fast, das nicht gesagt zu haben. Ihre Worte riefen ein sonderbares Echo hervor, nicht in der Welt des Sicht- oder Hörbaren, sondern auf einer anderen, viel tiefer liegenden Ebene; als seufzte der schwarze Stein rings um sie herum ebenso tief wie lautlos.
    Vielleicht nur, um sich von diesem unsinnigen Gedanken abzulenken, nahm sie Lasar die Fackel aus der Hand und schnupperte daran, bevor sie sie mit ihrer eigenen in Brand setzte. Das Öl, mit dem das Ende des kurzen Knüppels getränkt war, roch ebenso frisch wie verbrannt. Diese Fackel war keine tausend Jahre alt. Nicht einmal tausend Stunden.
    Sie behielt ihre Erkenntnis für sich, gab ihm die Fackel zurück und bedeutete ihm mit einer stummen Geste, vorauszugehen. Sie selbst hob ihre eigene Fackel höher und sah sich aufmerksam um, während sie ihm folgte.
    Der Raum war so groß, dass auch das Licht von zwei Fackeln nicht einmal annähernd ausreichte, um ihn zu erleuchten. Die Decke, eine erstaunliche frei tragende Ebene ohne stützende Gewölbe oder

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