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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gar Pfeiler, erhob sich unmöglich hoch über ihren Köpfen, eigentlich höher, als sie diesen Teil des Gebäudes überhaupt in Erinnerung hatte. Boden, Wände und Decke bestanden aus denselben Licht fressenden schwarzen Steinen wie die Außenmauern, und sie schienen auch den Fackelschein so zu schlucken wie das Sonnenlicht draußen. Nicht ein einziger Lichtreflex wurde zurückgeworfen. Selbst als sie sich (nach einer eigentlich unmöglich großen Anzahl von Schritten) der gegenüberliegenden Wand näherten, fiel es ihr schwer, Einzelheiten zu erkennen, als gäbe es hier drinnen irgendetwas, das ihre Sinne verwirrte.
    Ganz am Rande des Lichtkreises sah sie etwas, das die unteren Stufen einer gewaltigen Treppe zu sein schienen, und machte Lasar mit eine fragenden Geste darauf aufmerksam, doch der Junge schüttelte nur fast erschrocken den Kopf. »Dort gehen wir … ich nie hinauf«, sagte er.
    Wir? Interessant. Sie bedeutete ihm weiterzugehen, und die beiden erreichten einen mindestens zwei Meter hohen und beinahe genauso breiten, halbrunden Durchgang. Irgendwann vor unzähligen Jahren musste es tatsächlich einmal eine richtige Tür gewesen sein, doch jetzt waren davon nur noch rostige Angeln übrig, die aussahen, als würden sie bei der geringsten Berührung zu rotem Staub zerfallen. In den steinernen Rahmen waren verwirrende Symbole und Bilder eingemeißelt, doch sie waren so verwittert, dass Pia nach einem ersten Blick nicht einmal mehr versuchte sie zu erkennen.
    Der Gang dahinter war ebenso düster und unheimlich wie alles hier, hatte aber trotz des halbrunden Eingangs eine gerade Decke, und auch seine Wände waren mit Symbolen und kunstvollen Reliefarbeiten übersät, ebenso verwittert und unkenntlich wie die draußen. Pia hatte allenfalls einen flüchtigen Eindruck von zahllosen Porträts, Halb- und Basrelief-Arbeiten, die Reiter, Jagd- und Schlachtszenen und alle möglichen Fabelwesen darstellten. Sie blieb nicht stehen, versuchte aber trotzdem möglichst viele Einzelheiten zu erkennen – ohne großen Erfolg. Die Bilder flößten ihr Unbehagen ein, das war alles, was sie sagen konnte.
    Sie passierten eine weitere, noch sehr viel niedrigere Tür, und Pia fiel auf, dass Lasar jetzt unwillkürlich eine Winzigkeit schneller ging. Pia jedoch blieb stehen und trat mit gesenktem Kopf und noch weiter gesenkter Fackel hindurch.
    »Da ist nichts«, sagte Lasar hastig. »Nur eine leere Kammer.«
    Pia ging gar nicht darauf ein, sondern sah sich ohne sonderliche Überraschung in der Kammer um, die alles andere als klein war und schon gar nicht leer. Allein der Geruch hatte ihr verraten, was sie finden würde. Auf dem Boden lag Stroh in unterschiedlichen Graden der Verwesung. Decken und schmuddelige Stofffetzen bildeten ein Dutzend ärmlicher Lagerstätten. Es roch nach schlecht gewordenen Lebensmitteln, saurem Schweiß und anderen, noch unangenehmeren Dingen. In der Mitte der Kammer gab es eine improvisierte Feuerstelle, oberhalb der die Decke eine dicke Rußschicht aufwies. Kaputte Metallteile lagen herum, und ihr Fuß stieß gegen einen ehemals wohl weißen Stoffstreifen, der jetzt mit hässlich eingetrocknetem Blut besudelt war.
    »So, du bist also noch nie hier gewesen«, sagte sie. »Oder nur sehr selten.«
    »Schon lange nicht mehr«, antwortete Lasar und begann unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten.
    »Was ist das hier?«
    »Ein Versteck«, antwortete Lasar. »Aber ich weiß nicht, wer hier lebt.«
    Pia legte fragend den Kopf schräg.
    »Früher war ich öfter hier«, gestand Lasar nach einer weiteren, endlosen Sekunde voller unbehaglichem Schweigen, in der er darauf gewartet hatte, dass ihr Blick ihn losließ, was er nicht tat. »Aber seit ich für Brack arbeite, komme ich nur noch selten. Hier verstecken sich viele vor der Stadtwache.«
    »Weil sie sich nicht hereinwagen«, vermutete Pia. » Wer versteckt sich hier?«
    »Die Kinder. Die, die die Wache jagt.«
    Pia musste sich schon wieder eines eisigen Fröstelns erwehren; nicht nur weil es so kalt und dunkel und feucht war. Der erbarmungswürdige Anblick, der sich ihr bot, erzählte eine eigene Geschichte, die sie sehr traurig stimmte, aber die sie auch an andere nicht minder schlimme Geschichten aus ihrer Heimat erinnerte. Schmuddelige Verstecke unter der Erde oder in Abbruchhäusern, deren Fenster sorgsam verschlossen waren, um auch ja keinen verräterischen Lichtstrahl hinausdringen zu lassen; ärmliche Refugien, in denen sich die Kinderbanden

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