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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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durchsichtig wie sorgsam poliertes Glas, aber auch breiter als ihre Hand. Sie hätte ihr Gewicht spüren müssen, doch das war nicht der Fall. Irgendwie schon – Pia spürte, wie schwer das Schwert war und mit welch unwiderstehlicher Wucht es durch Schilde, Panzerplatten, Rüstungen und im Zweifelsfall auch Fleisch und Knochen schlagen konnte, aber zugleich war es auch so, als wöge es gar nichts, fast wie eine natürliche Verlängerung ihres Armes, die ihr eigenes Gewicht selbst trug.
    Und da war noch mehr. Pias Gedanken bewegten sich immer noch träge, als wäre ein Teil von ihr gar nicht richtig wach, sondern nach wie vor in dem klebrigen Sumpf des Albtraums gefangen, aus dem sie hochgeschreckt war, aber ihre Erinnerungen kehrten nun doch allmählich zurück. Da war wieder dieses Flüstern, das sie gestern schon einmal gehört zu haben glaubte, eine lautlose, wispernde Stimme, die in diesem Schwert eingesperrt war und ihr Dinge und Geschichten zu erzählen versuchte, die sie nicht hören wollte.
    Hastig legte sie das Schwert aufs Bett, trat einen halben Schritt zurück und bemerkte erst danach die Spur aus winzigen hellroten Tröpfchen, die sie auf der ohnehin nicht mehr sehr sauberen Bettwäsche hinterlassen hatte. Die dünnen Schnitte in ihren Fingerspitzen taten nicht mehr weh (seltsam: sie spürte sie nicht einmal mehr), aber sie bluteten immer noch heftig, und Pia sah sich rasch nach etwas um, womit sie sie verbinden konnte. In Wahrheit wahrscheinlich nach etwas, um ihre Gedanken wenigstens für einen kurzen Moment abzulenken.
    Schließlich trat sie noch einmal ans Bett heran und betrachtete das Schwert mit einem sonderbaren Gefühl von … ja, was eigentlich? Verwirrung? Ehrfurcht? Abscheu? Neugier? Furcht? Von allem etwas, aber unter diesen Gefühlen war noch etwas anderes, das mit jedem Moment stärker zu werden schien. Ein Teil von ihr wollte dieses Schwert; mehr als irgendetwas anderes auf der Welt.
    Sie wusste, dass sie es nicht anrühren durfte, nicht in diesem speziellen Augenblick. Dieses Schwert symbolisierte alles, was sie verachtete und wovor sie Angst hatte. Aber es offerierte ihr auch ein Geschenk, eine unvorstellbare Macht, der nichts auf dieser – oder irgendeiner – Welt widerstehen konnte. Mit der gleichen vollkommenen Sicherheit, mit der sie wusste, was dieses Schwert war und woher es kam, wusste sie auch um den furchtbaren Preis, den es von ihr verlangen würde, wenn sie sein vermeintliches Geschenk annahm. Doch das war ihr in diesem Moment gleich, denn was sie dafür bekam, war diesen Preis mehr als wert.
    Nahezu ohne sich der Bewegung bewusst zu sein und ganz eindeutig ohne irgendetwas dagegen tun zu können, streckte sie die Hand aus und machte einen einzelnen Schritt auf das Bett zu, und sie hätte die Waffe berührt, wäre nicht in diesem Moment hinter ihr ein Poltern laut geworden und dann ein keuchender, erschrockener Atemzug. Der Zauber verging. Das unsichtbare Band, das sie an die Waffe hatte fesseln wollen, riss wie Spinnweben im Sturm, und Pia drehte sich herum und blinzelte einen Moment lang verständnislos in Lasars Gesicht.
    Der Junge war unter der Tür erschienen und in einer fast grotesk anmutenden Haltung mitten in der Bewegung erstarrt, den linken Arm halb erhoben und die Hand nach dem Türrahmen ausgestreckt, wie um sich daran abzustützen, mit der anderen Hand in ihre Richtung deutend. Seine Augen waren groß und dunkel vor Furcht, und es verging noch einmal ein halber Atemzug, bis sie begriff, dass er gar nicht sie anstarrte, sondern das Bett hinter ihr. Genauer gesagt das Schwert, das darauf lag.
    »Das … das ist …«, stammelte er.
    Pia streckte nun doch rasch die Hand aus und warf die Bettdecke über die Klinge. »Ich weiß, was das ist«, sagte sie, schärfer und unfreundlicher, als sie es beabsichtigt hatte. Und du solltest es auch wissen. Sie war fast sicher, dass Lasar gestern Nacht gesehen hatte, wie sie das Schwert an sich nahm; und sie war noch sicherer, dass er spätestens in dem Moment, in dem er es in ihr Zimmer gebracht hatte und das erste Mal damit allein gewesen war, gründlich nachgesehen hatte, welchen Schatz sie eigentlich in ihrem Mantel verbarg. Wieso tat er dann jetzt so erschrocken?
    »Ich weiß, ich habe verschlafen«, fuhr sie fort. »Geh und sag Brack, dass ich gleich komme.«
    Der Junge starrte weiter die Bettdecke an, unter der das Schwert verborgen lag. »Aber das ist …«, murmelte er noch einmal, dann riss er sich mit einer

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