Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
zurückgekommen wäre, und irgendwann, obwohl sie es selbst nicht wollte und sich sogar mit verbissener Kraft dagegen zu wehren versuchte, schlief Pia ein und sank in einen unruhigen, von wirren Albträumen heimgesuchten Schlaf, aus dem sie immer wieder hochschreckte und sich vornahm, dieses Mal nicht einzuschlafen, sondern auf Alicas Rückkehr zu warten.
    Natürlich funktionierte es nicht, und der nächste Morgen war der erste seit zwei Wochen, an dem sie wirklich verschlief. Wenn man bedachte, dass sie es normalerweise als persönlichen Angriff auffasste, deutlich vor Mittag aufstehen zu sollen, hatte sie sich erstaunlich schnell an den so radikal anderen Lebensrhythmus der Menschen hier gewöhnt; was sicher zu einem Gutteil an der ungewohnt schweren Arbeit im Gasthaus lag. Wenn der Weiße Eber irgendwann in den frühen Morgenstunden schloss, dann gingen Alica und sie sofort nach oben und schliefen wie Steine; aber mit einer einzigen Ausnahme war sie auch jeden Morgen mit oder zumindest kurz nach dem ersten Sonnenstrahl aufgewacht.
    Heute nicht. Noch bevor sie die Augen aufschlug, spürte sie, dass der Tag schon gute zwei Stunden alt sein musste. Die Tür stand offen, und aus dem Erdgeschoss drangen schon wieder gedämpfte Stimmen sowie emsiges Klappern und Hantieren. Es roch nach Essen, und dort unten unterhielten sich eindeutig mehr als nur zwei oder drei Personen. Vielleicht hatte sich Brack ja entschlossen, den Weißen Eber zwar pünktlich um Mitternacht zuzumachen, dafür aber schon vormittags die ersten Gäste zu bewirten, um den entgangenen Verdienst zu kompensieren.
    Irgendetwas stimmte nicht, dachte Pia matt. Ihre Gedanken bewegten sich träge wie durch Nebel, und sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund und leichte Kopfschmerzen, als hätte sie gestern Abend zu viel getrunken – was sie nicht hatte. Irgendwo unter diesem Nebel war das nagende Gefühl, etwas vergessen zu haben, etwas ungemein Wichtiges, aber sie war viel zu benommen, um dieser Spur zu folgen, blinzelte den letzten Schlaf weg und bückte sich in derselben Bewegung, in der sie sich aus dem Bett rollte, nach dem warmen Umhang, den sie am vergangenen Abend abgestreift und achtlos fallen gelassen hatte. Manche schlechte Angewohnheiten, dachte sie mit müden Spott, nahm man offensichtlich sehr schnell an.
    Und manche, fügte sie in Gedanken und ein ganz kleines bisschen alarmiert hinzu, als etwas klapperte und ein blitzender Schemen unter dem Berg verschwand, sollte man besser gar nicht erst annehmen. Mit einer so hastigen Bewegung, dass ihr für eine Sekunde schwindelig wurde, bückte sie sich noch einmal und versuchte die Pistole unter dem Bett hervorzuangeln.
    Etwas biss scharf und sehr tief in ihre Finger. Pia stieß einen kleinen, eher überraschten Schrei aus, betrachtete eine Sekunde lang verständnislos ihre Fingerkuppen, die aus haarfeinen, aber sehr tiefen Schnitten bluteten, und ordnete dann mit einiger Anstrengung ihre Gedanken, während sie sich gleichzeitig in die Hocke sinken ließ und so vorsichtig unter das Bett spähte, als hätte sie Angst, dort ein zähnefletschendes Raubtier zu erblicken, das nur darauf wartete, sie anzuspringen.
    Ihre Erinnerungen spielten ihr offensichtlich einen Streich. Sie hatte den Mantel gestern Abend nicht dort hingeworfen, weil sie ihn gar nicht angehabt hatte, als sie heraufgekommen war, und der blitzende Schemen war auch nicht ihre Pistole gewesen, die irgendwie unter ihrem Kopfkissen hervorgerutscht war. Unter dem Bett lag ein mehr als meterlanges Schwert mit einem goldenen Griff und einer beidseitig geschliffenen, durchsichtigen Klinge.
    Pia starrte das Schwert eine geschlagene Sekunde lang verständnislos und ungefähr genauso begeistert an, als hätte sie tatsächlich das erwartete zähnefletschende und ausgesprochen hässliche Ungeheuer entdeckt, streckte dann – sehr behutsam – die Hand ein zweites Mal aus und schloss die noch immer blutenden Finger um den schweren Griff. Er sollte kalt sein, nicht nur weil in diesem Land einfach alles kalt war. Der Griff, dessen Farbe und Konsistenz ihr verrieten, dass er tatsächlich aus purem Gold bestand (oder zumindest damit überzogen war), fühlte sich jedoch ganz im Gegenteil warm und beinahe lebendig in ihrer Hand an, und noch etwas geschah, das Pia noch viel seltsamer vorkam, nachdem sie die Waffe behutsam unter dem Bett hervorgeholt und sich wieder aufgerichtet hatte: Das Schwert war länger als ihr ausgestreckter Arm, und die Klinge war

Weitere Kostenlose Bücher