Elfenblut
wegbewegte. »Und jetzt stell die Tasche ab. Wir wollen doch nicht, dass sie am Ende noch beschädigt wird.«
»Bring ihn um, Comandante «, wimmerte der Einäugige neben ihm. Eigentlich heulte er es. Seine Stimme war dünn, ein kaum noch verständliches Schluchzen. Er musste entsetzliche Schmerzen haben, dachte Pia. Aber solange er sich noch auf den Beinen halten konnte, machte ihn das nur umso gefährlicher. »Ich will weg hier.«
»Wer will das nicht, mein Freund?«, fragte Hernandez. »Aber keine Sorge. Es dauert nicht lange. Mir gefällt es hier auch nicht.« Die Waffe in seiner Hand hörte auf zu zittern und richtete sich nun direkt auf Pias Stirn. »Schade eigentlich. Wir hatten so viel Spaß miteinander. Und wir hätten noch viel mehr Spaß haben können, aber jetzt ist es zu spät.«
Sein Daumen zog den Hahn zurück, und Pia schloss die Augen. Das Letzte, was sie in ihrem Leben sehen wollte, war barmherzige Dunkelheit, nicht Hernandez’ zerstörtes Gesicht.
Er schoss nicht.
Es wurde kälter.
Pia hielt den Atem an und zählte in Gedanken bis drei, dann bis fünf und schließlich bis zehn, aber der finale Schmerz, von dem sie sich fragte, ob sie ihn überhaupt noch spüren würde, kam nicht. Und als sie die Augen wieder öffnete, war der Revolver zwar noch immer auf ihre Stirn gerichtet, aber der Blick aus Hernandez’ zu schmalen Schlitzen zusammengepressten Augen fixierte einen Punk irgendwo hinter ihr.
Hatte Jesus …?
Pia wagte es, den Kopf zu drehen, und sah, dass Jesus nichts getan hatte, um die Mischung aus Misstrauen und Überraschung in Hernandez’ Blick zu rechtfertigen.
Am Ende der schmalen Gasse war eine weitere Gestalt aufgetaucht. Gegen den kaum helleren Hintergrund war sie nicht mehr als ein weiterer, flacher Umriss, doch schon an diesem bloßen Schemen war irgendetwas … Unheimliches. Etwas daran war falsch, auf dieselbe Weise wie vorhin die Schatten und der Rest der Welt: genauso wenig zu beschreiben und ebenso unübersehbar.
Und er kam ihr auf dieselbe Weise vertraut vor, aber das registrierte sie nur beiläufig, und sie schob den Gedanken augenblicklich von sich, weil er vollkommen unsinnig war.
»Wer bist du denn?«, fragte Hernandez. »Verschwinde! Das hier geht dich nichts an!« Er unterstrich seine Worte, indem er herrisch mit seiner Waffe gestikulierte, richtete diese jedoch sofort wieder auf Pia – sie bezweifelte, dass er den Fremden erschießen würde. Jesus und sie zu erledigen, war eine Sache, aber wenn man hier den Falschen erschoss, konnte man leicht einen Krieg auslösen.
Die Gestalt rührte sich nicht, doch irgendetwas geschah dort in den Schatten, und sie wurde deutlicher, ohne dabei weniger unheimlich zu sein. Vermutlich handelte es sich um einen Mann, aber Pia konnte nur raten, denn er trug einen Mantel, der ihn vollkommen verhüllte und in einer spitzen Kapuze endete, die er weit ins Gesicht gezogen hatte. Darunter waren nur Schatten zu erkennen. Ein leises Klimpern war zu hören, als er sich bewegte. Warum auch immer er diese Verkleidung gewählt hatte, sie wirkte zugleich ziemlich albern wie angsteinflößend.
»Verdammt noch mal, was willst du?«, fauchte Hernandez. »Misch dich hier nicht ein!«
Die Gestalt antwortete nicht, aber sie bewegte sich, und irgendwie tat sie es auf dieselbe verstörende Art, mit der sie aufgetaucht war. Es schien eher ein Gleiten und Fließen zu sein als eine herkömmliche Bewegung; als wäre selbst die schlichte Geste, mit der sie die Arme hob und die Kapuze zurückschlug, Teil einer sorgsam einstudierten Pantomime oder eines Tanzes. Darunter kam ein edel geschnittenes (ein anderes Wort fiel Pia nicht ein), schmales Gesicht zum Vorschein, das genauso unrichtig und fremd aussah wie die Schatten, aus denen die Gestalt gekommen war. Pia schenkte ihm allerdings trotzdem nur einen flüchtigen Blick, denn was über diesem Gesicht zum Vorschein kam, das war noch sehr viel erstaunlicher.
Es war ein Helm, ganz unzweifelhaft, auch wenn sich Pia vergeblich fragte, wer einen solchen Helm tragen sollte und vor allem, warum . Er war mindestens dreißig Zentimeter hoch, wenn nicht mehr, lief spitz aus und war mit kunstvollen Ziselierungen übersät. An fein gearbeiteten Scharnieren befestigte Lamellen schützten Jochbein, Wangen und Kinn, und was im Moment wie der Kobrakopf einer ägyptischen Pharaonenkrone darüber hinaus und schräg nach vorne ragte, war ein vermutlich ebenso beweglicher Nasenschutz. Das Ding sah … grotesk aus.
Aber
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