Elfenblut
allmählich Zeit, dass sie sich wieder vertrugen –, doch Alica war nicht mehr da. Pia entdeckte sie nach einem kurzen Moment auf der anderen Seite der Lichtung. Sie war vor einem Busch in die Hocke gegangen und tat irgendetwas, das sie nicht genau erkennen konnte.
Pia leerte sorgfältig ihren Becher, stellte ihn noch sorgfältiger neben sich auf den Boden und ging zu ihr. Alica war nicht vor einem Busch in die Hocke gegangen, sondern vor einer schlanken Pflanze mit gut halbmeterlangen, faserigen Blättern, die ein bisschen wie fettes Farn aussah. Pia sah sie fragend an.
»Das könnte funktionieren«, sagte Alica nachdenklich. »Ich bin nicht ganz sicher, was die Konsistenz angeht, aber wenn man sie trocknet und eine Weile liegen lässt …«
»Du gibst wohl nie auf, wie?«, fragte Pia.
»Aufgeben? Ich habe noch nicht einmal angefangen, wie könnte ich da aufgeben?«
»Meinst du nicht, dass du dich allmählich lächerlich machst?«, fragte Pia sanft.
Offenbar war es trotzdem der falsche Tonfall gewesen, denn Alica funkelte sie einen Moment lang fast hasserfüllt an. »Das sagst ausgerechnet du?«, fauchte sie. Ihre Finger strichen weiter an dem vermeintlichen Farnblatt entlang. »Du bist doch schuld daran, dass meine gesamten Zigarettenvorräte zum Teufel sind!«
»Es war genau eine Zigarette«, antwortete Pia.
»Trotzdem war es alles, was ich noch hatte«, beharrte Alica. »Jetzt kann ich sehen, wie ich an Nachschub komme!«
Pia gab auf. Es gab Dinge, über die konnte man mit Alica nicht sprechen. Eigentlich über eine ganze Menge Dinge, wenn sie es recht bedachte.
Sie sah ihr noch ein paar Sekunden lang zu, wandte sich dann um und ließ ihren Blick über den Rand der Lichtung wandern. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte.
»Darf ich fragen, wo du hingehst?«, erkundigte sich Alica, als sie sich in Bewegung setzte.
»Ach, nirgendwohin. Ich will nur sehen, ob ich vielleicht ein paar Haschischpflanzen finde.«
Alica knurrte irgendeine Antwort, von der es vermutlich besser war, dass sie sie nicht verstand, und Pia bog vorsichtig das Unterholz auseinander und folgte der Spur aus geknickten Zweigen und niedergetrampeltem Unterholz, die Lion hinterlassen hatte. Wenn sie bedachte, wie vollkommen lautlos er sich bewegt hatte, dann hatte er eine eigentlich schon erstaunlich deutliche Spur hinterlassen. Pia war völlig unerfahren in solchen Dingen, aber selbst ihr fiel es leicht, seiner Spur zu folgen.
Ungefähr hundert Schritt weit, dann löste sich eine dunkle, sehr hochgewachsene Gestalt aus den Schatten des Waldes und vertrat ihr den Weg.
»Ich wusste, dass du kommst«, sagte Lion.
XXIX
E igentlich war es ungewöhnlich – wenn sie es recht bedachte, war es ihr noch nie passiert –, aber sie musste wohl eingeschlafen sein, denn als die Explosion aus purer Lust und verzehrendem Feuer in ihrem Leib nach und nach verebbt war und sie wieder atmen konnte, ohne dabei vor Wonne abwechselnd zu stöhnen und zu schnurren wie eine zufriedene Katze, fand sie sich zwar unversehens auf dem Rücken und dem kalten Waldboden liegend wieder, aber in der Beuge seines muskulösen rechten Arms, und sein zwar enormes, doch so unendlich süßes Gewicht lastete nicht mehr auf ihr.
Lion lag neben ihr. Er hatte die Augen geschlossen, und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein sehr entspannter Ausdruck ab. Sein Atem, den sie gerade so heiß und keuchend an ihrer Wange gespürt hatte, ging jetzt sehr gleichmäßig und flach, aber irgendwie spürte sie, dass er nicht schlief.
»Hör auf zu schauspielern«, sagte Pia und strich ihm zärtlich über die Wange. »Das kannst du nicht besonders gut.«
Lion hob die Lider und sah sie an, ohne dass sich in seinem Gesicht auch nur ein Muskel gerührt hätte. In seinen Augen war nichts als Zärtlichkeit. »Ich schauspielere nicht«, sagte er. »Ich wollte dich nicht wecken, das ist alles. Du hast so tief geschlafen.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie.
»Weil du geschnarcht hast.«
»Ich schnarche nicht!«, antwortete Pia empört.
»Tust du doch«, beharrte Lion. »Aber keine Sorge. Ich finde, es klingt süß.«
»Das ist gelogen!«
»Was? Dass es süß klingt? Also, sagen wir … ja«, gestand Lion. »Ich weiß nicht, was ich in zehn Jahren dazu sagen werde, oder in zwanzig … aber noch gefällt es mir.«
»In zehn Jahren?« Pia runzelte übertrieben die Stirn, stemmte sich auf den rechten Ellbogen hoch und brachte ihr Gesicht noch
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