Elfenblut
zuvor, doch in diesem Moment kam ihr das Schicksal zu Hilfe; oder die PanAm, Lufthansa, British Airways oder wem auch immer der Passagierjet gehörte, der im Tiefflug über die Dächer hereingedonnert kam und zur Landung ansetzte. Das Getöse machte nicht nur für eine oder zwei Minuten jede Unterhaltung unmöglich, sondern brachte Pia auch auf eine Idee.
»Hast du nicht gesagt, dass ihr früher direkt am Flughafen gewohnt habt?«, fragte sie, nachdem ihre Ohren aufgehört hatten zu klingeln.
Alica sah sie zwar ein wenig misstrauisch an, aber sie nickte.
»Dann gehen wir dorthin. Du hast doch bestimmt noch Freunde dort, oder?« Falls jemand wie Alica Freunde hatte.
»Ein paar«, antwortete Alica widerwillig. »He, ich werde ganz bestimmt keinen von meinen Freunden in diese Geschichte reinziehen! Du glaubst doch nicht, dass ich ihnen die Peraltas auf den Hals hetze!«
Pia glaubte schon lange nicht mehr, dass die drei sonderbaren Männer, vor denen sie geflohen waren, auch nur irgendetwas mit den Peraltas oder irgendeiner anderen Mafia-Familie zu tun hatten. Hier ging etwas vollkommen anderes vor.
»Wir ziehen sie nicht in irgendetwas rein«, sagte sie. »Aber wir brauchen jemanden, der uns hilft. Ein Versteck, und wenn es nur für heute Nacht ist. Morgen versuchen wir irgendwie, mit Esteban Verbindung aufzunehmen, und dann sehen wir weiter. Die Peraltas wissen doch gar nichts über dich. Und ganz bestimmt nichts über deine Freunde.«
Alica wirkte nicht überzeugt.
»Nur für heute Nacht«, sagte Pia. »Irgendwo müssen wir ja unterkriechen. Oder hast du Geld für ein Taxi oder ein Hotel dabei?«
Alica sah demonstrativ an sich herab. Abgesehen von sich selbst hatte sie so ziemlich nichts dabei; gar nicht davon zu reden, dass das nächste Taxi ebenso unerreichbar weit weg war wie das nächste Hotel. Schließlich hob sie widerwillig die Schultern, fuhr plötzlich zusammen und sah sich hastig nach rechts und links um, als ein Scheppern an ihr Ohr drang, gefolgt von einem lang anhaltenden Echo, das beinahe lauter zu sein schien als das eigentliche Geräusch. Zwei oder drei Atemzüge später huschte eine schwarze Katze vor ihnen über die Straße und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Alica runzelte die Stirn. »War das jetzt von links nach rechts oder von rechts nach links?«, fragte sie.
»Was?«
»Bedeutet es nun Unglück, wenn einem eine schwarze Katze von links nach rechts über den Weg läuft, oder von rechts nach links?«, wiederholte Alica.
»Das kommt ganz darauf an, wie laut man diese Frage stellt, wenn man als Frau mitten in der Nacht allein in der schlimmsten Gegend von Rio de Janeiro unterwegs ist«, antwortete Pia ernsthaft.
»Aber ich bin doch gar nicht allein«, sagte Alica. Immerhin sagte sie es deutlich leiser. »Supergirl ist ja bei mir.«
Pia lächelte zwar pflichtschuldig, aber ihr Blick tastete gleichzeitig aufmerksam die Straße vor ihnen ab. Sie war ganz und gar nicht sicher, dass das Geräusch, das sie gehört hatten, tatsächlich nur von einer Katze verursacht worden war, ob sie nun von rechts nach links über die Straße gelaufen war oder von links nach rechts. Sie wurden beobachtet, das konnte sie fast körperlich spüren. Aber zu sehen war nichts.
»Was machen wir eigentlich, wenn Esteban tot ist?«, sagte Alica nach einer Weile. Sie waren wieder schweigend nebeneinander hergegangen, und vielleicht stellte sie diese Frage nur, um die unheimlich hallenden Echos zu übertönen, die ihre nackten Füße auf der Straße erzeugten.
»Ist er nicht«, antwortete Pia ruppig.
»Ich weiß«, sagte Alica. »Aber wenn . Ich frage ja nur. Du kennst doch die Peraltas. Gut möglich, dass sie sich an ihm ausgelassen haben, weil sie uns nicht kriegen konnten.«
Pia kannte die Peraltas nicht, ebenso wenig wie Alica, und sie glaubte mit jeder Sekunde weniger, dass sie es überhaupt mit Leuten der Mafia-Familie zu tun hatten. Die drei Männer hatten es eindeutig auf sie abgesehen gehabt, aber es war ihnen nicht um irgendwelche Drogen oder gar Geld gegangen. Die Peraltas waren zwar ebenso brutal wie rücksichtslos und sie waren echte Südamerikaner, was bedeutete, dass sie ziemlich komisch reagieren konnten, wenn es um das ging, was sie für ihre Ehre hielten … aber so schnell nun auch wieder nicht.
Vielleicht war es Zeit, mit den Freundlichkeiten aufzuhören. »Die Frage ist wohl eher, was du machst, wenn Esteban irgendetwas zustoßen sollte«, sagte sie. Früh selbstständig geworden, war
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