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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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klaglos.
    Sie erreichten das übernächste Dach. Vor ihnen lag eine etwas hellere und vielleicht einen halben Meter tiefer gelegene Fläche, eingerahmt von einem bröckeligen Quadrat aus Betonsteinen, kaum so breit wie zwei nebeneinandergelegte Hände. Statt in gerader Linie über das Dach zu sprinten, schlug Pia flugs einen Haken und rannte über den schmalen Steg, ohne auch nur einen Gedanken an den Abgrund zu verschwenden, der daneben lauerte. Bis zur Straße hinab waren es knappe fünf Meter; wahrscheinlich kein tödlicher Sturz, aber wenn sie einen Fehltritt machte, konnte sie ebenso gut aufgeben und gleich auf den Killer warten.
    Sie erreichte das nächste Dach, hatte rechts und links endlich wieder festen Boden vor sich und wagte es zum ersten Mal, einen Blick über die Schulter zurück zu werfen. Alica stürmte kaum einen Meter hinter ihr heran, nahezu genauso schnell wie sie und mit einem Geschick und einer Sicherheit, die sie ihr niemals zugetraut hätte. Wieder auf festem Boden, schwenkte sie genau wie Pia nach links, und keine zehn Schritte hinter ihr stürmte eine langhaarige Gestalt mit wehendem Mantel heran. Ihr Vorsprung war deutlich kleiner, als Pia erwartet hatte.
    Und ganz genau wie sie es erwartet hatte, verzichtete er darauf, den vermeintlichen Umweg nachzuvollziehen, den Alica und sie gemacht hatten, sondern folgte ihnen in direkter Linie über das Dach.
    Oder das, was er für ein Dach hielt.
    In der mondlosen Nacht waren die schwarzen Plastikplanen, mit denen der Innenhof abgedeckt war, praktisch nicht von der hier allgegenwärtigen Teerpappe zu unterscheiden, allerdings waren sie nicht annähernd so stabil. Und darunter auch kein Holz oder Beton, sondern nur ein dünnes Geflecht aus Draht, möglicherweise sogar nur Fäden. Pia hatte darauf gehofft, dass ihr Verfolger durch das improvisierte Sonnendach brechen und mit haltlos wirbelnden Armen in die Tiefe stürzen würde, aber er verschwand einfach, buchstäblich von einem Lidzucken auf das andere, und wo er sein sollte, gähnte jetzt ein metergroßes Loch in der Plastikplane. Nur den Bruchteil einer Sekunde später drang ein schwerer Aufprall an ihr Ohr, gefolgt von einem schmerzerfüllten Stöhnen.
    »Wirklich clever«, sagte Alica. Ihr Atem ging ebenso schwer und rasch wie der Pias, aber sie klang zugleich äußerst zufrieden. »Und jetzt? Geben wir ihm den Rest?« Sie machte eine Kopfbewegung auf Pias Pistole.
    »Der hat erst mal genug«, antwortete Pia. »So schnell läuft der niemandem mehr nach. Aber da war noch ein zweiter Kerl. Willst du hier warten, bis er auftaucht?«
    Dieses Argument schien sogar Alica zu überzeugen, denn sie nickte, und dann konnte Pia trotz der Dunkelheit sehen, wie auch noch das allerletzte bisschen Farbe aus ihrem Gesicht wich. Sie war nicht einmal überrascht, als sie herumfuhr und die riesige Gestalt sah, die wie aus dem Nichts hinter ihnen aufgetaucht war.
    Dass sie nicht erschrak, rettete ihr möglicherweise das Leben, zumindest für diesen Moment. Es war ganz genau wie vorhin in Estebans Büro: Sie dachte nicht, sondern reagierte. In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht zwar nicht erkennen (ganz davon abgesehen, dass die Kerle mit ihren verdreckten Bärten und tätowierten Gesichtern sowieso alle gleich aussahen), aber irgendwie wusste sie trotzdem, dass es der war, dem sie ins Bein geschossen hatte. Als er eine Hand ausstreckte, riss sie das Knie in die Höhe, womit er allerdings gerechnet zu haben schien, denn sein anderer Arm fuhr blitzartig herab, um seine edelsten Teile zu schützen.
    Pia hatte jedoch gar nicht darauf gezielt. Ihr Knie knallte mit aller Gewalt, die sie nur aufbringen konnte, gegen die frische Schusswunde in seinem Oberschenkel.
    Selbst ohne die Verletzung hätte es vermutlich sehr wehgetan. Der Treffer war so hart, dass Pia zurückprallte und ein betäubender Schmerz in ihrem Knie explodierte, der grelle Feuerlinien durch ihr gesamtes Bein schickte, aber das schien nichts gegen das zu sein, was Barney Geröllheimer empfand. Er brüllte vor Schmerz, kippte auf die Seite und krümmte sich am Boden. Pia reagierte auch diesmal, ohne zu denken. Bei jedem Schritt schien sich ein rot glühender Draht durch ihr Bein bis in die Hüfte hinauf zu bohren, aber sie ergriff trotzdem Alicas Handgelenk und zerrte sie einfach mit sich auf das nächste Dach und das nächste und das wiederum nächste. Erst dann blieb sie stehen, ließ ihren Arm los und stützte beide Hände auf die Oberschenkel,

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