Elfenblut
schaffte es aber trotzdem nicht, ihre Leibesfülle und ihren gewaltigen Busen zu bändigen. Sie hatte lockiges, bis weit über die Schultern fallendes Haar, das vermutlich gut ausgesehen hätte, wäre es schwarz, blond oder auch brünett gewesen. Leider war es grau, strähnig und begann schon sichtbar dünner zu werden, sodass es einiger coiffeurtechnischer Kunstgriffe bedurft hatte, um die beginnende Halbglatze zu kaschieren. Noch ein, zwei Jahre, schätzte Pia, und auch der geschickteste Friseur würde vor dieser Herausforderung kapitulieren müssen.
Das dazugehörige Gesicht war rund und pausbäckig und hätte allein deshalb gutmütig wirken sollen, tat es allerdings nicht, sondern hatte etwas ganz und gar Verschlagenes, das Malu schlagartig ungefähr doppelt so viele Sprossen auf Pias Sympathieleiter herunterpurzeln ließ, wie diese überhaupt zählte.
Brack machte eine Geste auf Pia. »Das ist …«
»Ich sehe, wer das ist«, unterbrach ihn Malu, ohne dass der Blick ihrer weit aufgerissenen Augen Pias Gesicht auch nur für einen Sekundenbruchteil losgelassen hätte. »Das ist … unglaublich.« Ihr Blick tastete hungrig über Pias Gesicht, ihre Haare und ihre Statur, obwohl sie sie unter dem unförmigen Umhang kaum erkennen konnte, und vor allem immer wieder über ihr Haar.
»Das Mädchen sucht Arbeit«, sagte Brack. »Und da ich weiß, was für ein weiches Herz sich hinter deiner rosigen Schale verbirgt, Malu, habe ich mich gefragt, ob du ihr vielleicht helfen kannst.«
Malu schien seine Worte gar nicht gehört zu haben, sondern starrte Pia weiter auf eine Art an, die ihr mit jedem Atemzug weniger gefiel. Eigentlich wartete sie nur noch darauf, dass die alte Vettel zu sabbern begann.
»Was geht hier eigentlich vor?«, erkundigte sich Alica. »Ich meine, du weißt schon, was das hier ist?«
»Natürlich«, antwortete Pia. An Brack gewandt und mit einem eindeutig verunglückten Lächeln fügte sie hinzu: »Ich fürchte, hier liegt ein kleines Missverständnis vor.«
»Das glaube ich weniger«, sagte Alica.
Malu starrte sie kurz und stirnrunzelnd an, wandte sich aber sofort wieder zu Pia um und zwang sich zu einem Lächeln, das sie selbst möglicherweise sogar für echt hielt. »Also, das wird sich ganz bestimmt aufklären lassen«, sagte sie. »Komm doch erst einmal rein, Kleines. Du erfrierst ja noch hier draußen in der Kälte.«
Sie ließ ihr keine Zeit, irgendetwas darauf zu erwidern, packte sie kurzerhand am Arm und zog sie mit sich. Als Alica ihnen folgen wollte, schüttelte sie herrisch den Kopf und machte eine abwehrende Geste mit der freien Hand. »Das geht nicht. Solche wie du haben hier keinen Zutritt.«
»Bisher war ich doch solche wie du«, murmelte Pia. Sowohl Alica als auch Malu sahen sie reichlich verdattert an, und zumindest Alica schien nach einigen Augenblicken ihre Sprache wiederzufinden und holte tief Luft. Brack kam der bevorstehenden Explosion zuvor, indem er sich hastig einmischte.
»Mach einfach eine Ausnahme, Malu«, bat er. »Die beiden sind fremd in der Stadt und kennen unsere Gebräuche noch nicht. Sie gehen überall zusammen hin.«
»Nicht hierher«, beharrte Malu streng.
»Selbstverständlich nicht«, sagte Brack rasch. »Aber dein Geschäft ist doch noch gar nicht geöffnet. Niemand wird sie sehen. Und heute Abend kommt sie ganz bestimmt nicht mit.«
Niemand kommt heute Abend hierher, dachte Pia. Und ich schon gar nicht . Sie schwieg jedoch, und zu ihrer Erleichterung hielt Alica den Mund, auch wenn sich ihr Gesicht nicht um einen Deut aufhellte. Täuschte sie sich, oder waren die Blicke, mit denen sie sie musterte, jetzt eindeutig schadenfroh?
»Also gut«, sagte Malu widerwillig. »Aber das ist eine Ausnahme, und ich tue es nur deinetwegen. Und Kronn soll dich holen, wenn du irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen erzählst!«
»Bestimmt nicht«, versprach Brack. »Bei meinem Leben!«
Malu sah ihn auf eine Art an, als wäre sie durchaus geneigt, ihn beim Wort zu nehmen, aber schließlich setzten sie ihren Weg fort. Sie schlug den schweren dunkelroten, samtigen Vorhang zur Seite, der sich einen halben Schritt hinter der Tür befand und nicht nur als Windfang diente, sondern auch als Schutz vor allzu neugierigen Blicken. Dahinter erstreckte sich ein großer Raum, der auf den ersten Blick Ähnlichkeit mit Bracks Gaststube hatte, auch wenn hier alles weitaus gepflegter und sauberer war. In den Fenstern befand sich dasselbe durch sichtige Papier anstelle von
Weitere Kostenlose Bücher