Elfenherz
spritzen, der geht direkt ins Blut. So wird man billiger betrunken.«
Val rieb sich den Arm. »Kann auch nicht viel schlimmer sein, als von dir gekniffen zu werden.« Sie hätte entsetzt sein müssen, aber das Ritual daran faszinierte sie, die Art, wie das Besteck auf dem dreckigen T-Shirt lag und darauf wartete, benutzt zu werden. Es erinnerte sie an etwas, aber sie kam nicht drauf.
»Tut mir leid mit deinem Arm! So wie Luis drauf war, wollte ich nicht, dass er auch noch über Elfen labert.« Lolli verzog das Gesicht, als sie das Pulver mit wenig Wasser über dem Hibachi kochte. Es brodelte auf dem Löffel. Ein süßer Geruch nach verbranntem Zucker drang in Vals Nase. Lolli zog die Mischung auf die Nadel, hielt die Spritze hoch, schob die Luftblasen ganz nach oben und drückte sie mit ein wenig Flüssigkeit heraus. Nachdem sie den Oberarm mit der Nylonstrumpfhose abgebunden hatte, drückte Lolli die Spitze vorsichtig in eine der schwarzen Stellen auf ihrem Arm.
»Jetzt kann ich zaubern«, sagte Lolli.
Da fiel Val ein, woran sie das Ganze erinnerte: an ihre Mutter, wenn sie ihr Make-up auflegte und dafür erst alle Schminksachen ausbreitete und nacheinander benutzte. Erst die Grundierung, dann Puder, Lidschatten, Eyeliner, Rouge, alles mit zeremonieller Seelenruhe. Die Überlagerung dieser Bilder verstörte sie.
»Du solltest das nicht vor ihr tun«, wiederholte Dave und zeigte mit dem Kinn auf Val.
»Der macht das nichts aus. Oder, Val?«
Val wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte noch nie gesehen, wie sich jemand einen Schuss setzte, schon gar nicht so professionell wie ein Arzt.
»Sie darf das nicht sehen«, sagte Dave. Val sah zu, wie er über den Bahnsteig hin und her lief. Unter einem Mosaik aus Fliesen, die das Wort »WERT« ergaben, blieb er stehen. Dann dachte sie, hinter ihm hätte die Dunkelheit ihre Form verändert und sich ausgebreitet wie Tinte im Wasser. Dave hatte es offenbar auch gesehen. Er riss die Augen auf. »Tu es nicht, Lolli.«
Die Düsternis schlang sich zu unförmigen Gestalten, von deren Anblick Val eine Gänsehaut bekam. Verschwommene Hörner, Mäuler voller Zähne und Klauen, so lang wie Äste, erschienen und lösten sich wieder auf.
»Was ist los? Hast du Schiss?«, verhöhnte Lolli Dave, bevor sie sich wieder an Val wandte. »Er hat Angst vor seinem eigenen Schatten.«
Val schwieg und starrte weiter auf die dunklen Bewegungen.
»Komm«, sagte Dave zu Val und hastete zur Treppe. »Wir wühlen im Müll.«
Lolli zog einen übertriebenen Flunsch. »Kommt nicht infrage. Ich habe sie gefunden, sie ist meine neue Freundin, und ich will, dass sie hier bleibt und mit mir spielt.«
Sie sollte mit ihr spielen? Val hatte keine Ahnung, was Lolli vorhatte, aber es hörte sich nicht gut an. In diesem Augenblick wollte Val nur noch eins, raus aus dem klaustrophischen
Tunnel, weg von den beweglichen Schatten. Ihr Herz raste so, dass sie Angst hatte, es würde aus ihrer Brust hüpfen wie der Vogel aus einer Kuckucksuhr. »Ich muss an die Luft.« Sie stand auf.
»Bleib hier«, sagte Lolli gedehnt. Ihre Haare wirkten plötzlich blauer, mit aquamarinfarbenen Strähnen, und um sie herum flackerte die Luft wie in der Sonnenhitze über heißen Straßen. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Spaß wir hätten.«
»Komm«, sagte Dave.
»Warum bist du bloß so ein Langweiler?« Lolli rollte mit den Augen und zündete sich am Feuer eine Kippe an. Obwohl sie sofort zur Hälfte in Flammen aufging, zog sie daran. Sie sprach schleppend und nuschelte, aber trotz der schläfrigen Augen war ihr Blick ernst.
Als Dave die gelbe Wartungstreppe hochstieg, folgte Val ihm, so rasch sie konnte, erfüllt von undefinierbarem Grauen. Oben schob Dave das Gitter hoch und sie traten auf den Bürgersteig hinaus. Als Val in den strahlenden Sonnenschein dieses Spätnachmittags flüchtete, fiel ihr ein, dass sie ihren Rucksack mit der Rückfahrkarte unten vergessen hatte. Sie wandte sich schon halb zum Gitter zurück, zögerte dann aber. Sie wollte ihre Sachen wiederhaben, aber Lolli hatte sich so seltsam benommen... alles war so seltsam geworden. Vielleicht reichte schon der Geruch einer Droge aus, um Schatten lebendig erscheinen zu lassen? Sie ging die Liste der Substanzen durch, die man meiden sollte: Heroin, PCP, Kokain, Crystal Meth und Ketamin. Sie
hatte von keiner dieser Drogen richtig Ahnung. Die Leute, die sie kannte, rauchten höchstens Gras oder tranken.
»Kommst du?«, rief Dave. Im
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