Elfenherz
heißen?«, fragte Val.
»Nichts.« Dave schüttelte den Kopf und ging. Val blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie war sich nicht sicher, ob sie die verlassene U-Bahn-Station ohne ihn wiederfand, außerdem brauchte sie ihren Rucksack.
Sie fuhren mit der Linie F zur 34. Straße, stiegen in die Linie B um und fuhren damit den ganzen Weg bis zur 96. Straße. Dave hielt sich im Waggon an einer Stange über seinem Kopf fest und machte Klimmzüge, während die U-Bahn durch die Tunnel brauste.
Val sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die Lämpchen, die die Entfernungen markierten, vorbeisausten, aber nach einer Weile wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Mitfahrenden zu. Ein drahtiger Mann mit Kurzhaarfrisur
wiegte sich zur Musik aus seinem iPod und balancierte ein dickes Manuskript mit einer Hand. Daneben saß ein Mädchen, das sich in aller Ruhe einen Handschuh aus blauen Kringeln auf die Hand malte. Ein Mann im Nadelstreifenanzug lehnte an der Tür und hielt krampfhaft seinen Aktenkoffer fest, während er Dave mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Jeder hier hatte ein Ziel, nur Val war wie ein Stück Treibholz, das in einem Fluss trudelte, unsicher, in welche Richtung es ging. Doch sie wusste zumindest, wie sie noch schneller trudeln konnte.
Von der U-Bahn-Station liefen sie mehrere Blocks zum Rand des Riverside Park, einem breiten Grüngürtel, der sich vom Highway zum darunterliegenden Wasser erstreckte. Auf der anderen Straßenseite waren die Villen mit Parkblick durch geschwungene Eisengitter an Türen und Fenstern gesichert. Fein gehauene Steinblöcke rahmten Türen und Geländer und waren zu fantastischen Drachen, Löwen und Geiern geformt, die sie im Licht der Straßenlampen belauerten. Dave und Val kamen an einem Brunnen vorbei, auf dem ein Adler aus Stein mit krummem Schnabel und finsterem Blick über einem trüben grünen Teich voller Blätter hockte.
»Du wartest hier«, sagte Dave.
»Warum?«, fragte Val. »Worum soll es schon gehen? Du hast mir doch schon tausend Sachen erzählt, die ich nicht wissen soll.«
»Ich hatte dir auch gesagt, dass du eigentlich nicht mitkommen darfst.«
»Na gut.« Val lenkte ein und setzte sich auf den Brunnenrand. »Dann bleibe ich eben hier.«
»Gut«, sagte Dave und joggte über die Straße zu einer Tür ohne Eisenverzierung. Er ging die weißen Stufen hinauf, stellte die Kiste mit den Romanen ab und drückte einen Klingelknopf, neben den jemand mit Schablone einen Pilz aufgesprüht hatte. Val hob den Blick zu den Wasserspeiern auf beiden Seiten des Dachs. Da schien einer der beiden zu erschauern, wie ein Vogel auf einer Stange. Er schüttelte kurz sein steinernes Gefieder, doch als Val erstarrte, hielt auch der Wasserspeier wieder still.
Val sprang auf und ging über die Straße. Sie rief nach Dave, aber gerade als sie die Stufen erreichte, wurde die schwarze Tür geöffnet, und eine Frau erschien im Eingang. Ihr wirres braungrünes Haar sah ungewaschen aus, und die Haut unter ihren Augen war so dunkel, als hätte sie zwei Veilchen kassiert. Unter dem Saum ihres Unterrocks lugten Hufe hervor, wo Füße hätten sein sollen.
Als Val mitten in der Bewegung innehielt, fiel der Rock darüber, und sie wusste nicht mehr, ob sie richtig gesehen hatte.
Dave wandte den Kopf und sah Val böse an. Dann holte er die Flasche mit dem Sand aus der Tasche.
»Kommt ihr rein?«, fragte die behufte Frau. Ihre Stimme war rau, als hätte sie viel geschrien. Offenbar bemerkte sie nicht, dass das Wachssiegel der Flasche beschädigt war.
»Ja«, sagte Dave.
»Wer ist deine Freundin da?«
»Val«, erwiderte Val und gab sich Mühe, nicht zu glotzen. »Ich bin neu, Dave zeigt mir, wie es läuft.«
»Sie kann hier draußen warten«, sagte Dave. »Für wie unhöflich hältst du mich? Die kalte Luft zieht ihr doch in die Knochen.« Die Frau hielt die Tür auf und Val folgte Dave grinsend ins Hausinnere. Sie betraten einen marmorverkleideten Flur, von dem eine Treppe mit einem alten Geländer aus poliertem Holz abging. Die Frau mit den Hufen führte sie durch mehrere spärlich möblierte Räume in ein Wohnzimmer, vorbei an einem Becken, in dem silberfarbene Koi hin und her flitzten - blasse Körper, deren rosa Innereien durch die Gräten schienen -, und vorbei an einem Musikzimmer, in dem einzig eine Doppelharfe mit zwei Saitenreihen auf einem Marmortisch stand. Die Frau setzte sich auf ein cremefarbenes Sofa mit zerschlissenem Brokatbezug und bedeutete ihnen, sich neben
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