Elfenkrieg
Ding!«, fuhr sie ihn über die Schulter hinweg an und zerrte an ihrem Halsring. »Ich kann sie noch retten!«
»Sie sind bereits tot. Um sie zu erwecken, reicht noch nicht einmal Eure Macht aus.«
Ein weiterer Schrei zerriss die Stille. Nevliin hätte nicht damit gerechnet, doch er erkannte Trauer in der Klage der Priesterin und nicht nur Zorn über den Verlust einer wertvollen Macht.
Unwillkürlich wurde er an jenen Moment erinnert, als er Vanora in ihr zerstörtes Dorf gebracht hatte zu ihrem toten Vater, doch anders als damals verspürte er nicht das Bedürfnis, zu ihr zu gehen, um ihr beizustehen.
Eher erfüllte ihn das nagende Gefühl der Unruhe, da er wusste, dass es bald so weit sein würde. Er musste sich darauf vorbereiten, es zu tun. Er durfte später nicht zögern, und daher durfte er sich von dieser Trauer auch nicht erweichen lassen. Das Schicksal hatte ihm seinen Weg gezeigt, und er hatte eine Entscheidung getroffen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Er wusste nicht, wie viel Zeit verging, in der die Priesterinjeden einzelnen Toten überprüfte, ehe sie plötzlich aufsprang und in die Hütte stürzte.
Sofort kam er ihr hinterher, denn er ahnte, was sich dort im Innern befand.
Es gelangten kaum Sonnenstrahlen durch das dichte Geflecht, einzig durch die offenstehende Tür fiel eine Lichtsäule in die Mitte des Raumes, wo auf einem Podest aus weißem Stein – vermutlich ebenfalls aus dem Palast – das Drachenherz unter einer Glashaube lag. Nein, der Schutz um diese rot leuchtende Kugel in Größe eines Elfenkopfes bestand keineswegs aus Glas. Es schien etwas anderes zu sein, wie Wasser oder etwas Lebendiges. Zumindest hielt es das rote Licht nicht auf, das den gesamten Raum von innen heraus zum Glühen brachte.
Nevliin registrierte kaum die weiteren Toten und auch nicht, dass die Priesterin um diese noch mitleidiger klagte, stattdessen hatte sich sein Blick auf das Herz gerichtet.
Er wusste nicht, wie er Eamon oder jemand anderem jemals hätte beschreiben können, wie es war, dem Schicksal ins Auge zu blicken. Genau wie in jenem Moment, in dem er den Schlüssel in Händen gehalten hatte, wurde seine Seele von der Gewissheit erfüllt, den Sternen nahe zu sein. So musste sich auch Vanora gefühlt haben, oder war ihre Liebe zum Leben stärker gewesen? Empfand nur er diese Erkenntnis als Befreiung, da er des Lebens müde war und er niemanden zurücklassen musste?
Sein Blick fiel auf die Priesterin, die immer noch am Boden neben einer ihrer toten Anhängerinnen kauerte.
Wäre Aurün nicht misstrauisch geworden und hätte mit Argusaugen über den Schlüssel zum Herzen gewacht, hätte er ihn längst an sich bringen können. Er hätte es jetzt zu Ende bringen können, doch stattdessen konnte er an diesem Tag nur den halben Weg gehen. Bei seinem Aufbruch hatte er es nichtriskieren können, Aurün den Schlüssel mit Gewalt abzunehmen, da ihn Eamon und die gesamte Ritterschaft der Königin verfolgt hätten. Sie hätten nach ihm gesucht, und mit der Priesterin an seiner Seite wäre der Plan dadurch gefährdet worden. Doch bald wäre die Priesterin fort, und er würde zurück zu Aurün gehen, mit dem Herzen, und dann hatte diese Farce, das Leben, endlich ein Ende.
Eine Regung der Priesterin holte Nevliin aus seinen Gedanken.
»Lasst uns von hier fortgehen«, sagte sie und erhob sich. »Das Herz ist hier nicht mehr sicher. Wir müssen zurück zu den Nebelinseln.« Sie sah ihn durch das rote Licht des Herzens hindurch an. Ihr goldenes Haar sah aus, als stünde es in Flammen. Die Nebelschleier, mit welchen sie bekleidet war, schienen ebenso zu brennen. Ihren blauen Augen entging nichts. Es müsste jetzt geschehen, sonst wäre er nicht mehr dazu in der Lage.
»Ihr kommt doch mit mir?«, fragte sie und musterte ihn durch das transparente Gefäß des Herzens hindurch. Die Trauer schien von ihr abgeperlt wie Wasser von elfischer Kleidung.
»Natürlich«, antwortete er ihr und ließ sie ebenso wenig aus den Augen. Gleichzeitig verschwand seine Hand jedoch ganz langsam im weiten Ärmel seines Hemdes. Er spürte das kleine Holzstück, das er dort eingenäht hatte, und auch der Priesterin entging seine Bewegung nicht.
»Was habt Ihr vor?«, fragte sie ihn scheinbar belustigt. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, mit diesem Lächeln, das wohl verführerisch sein sollte. »Wollt Ihr mich hintergehen? Mich? Eure Seelenverwandte? Eure Liebe ?«
Nevliin zog die Pfeilspitze aus dem Holz und hielt sie vorsichtig zwischen
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