Elfenkrieg
gewisse Anziehungskraft besaßen.
»Wo kommt Ihr her?«, fragte Vinae.
»Du stellst viele Fragen, schöne Seele, dafür, dass du mir noch nicht einmal deinen Namen nennst.«
»Mein Name ist Enra.«
Wieder lachte er auf diese düstere Weise. »Du bist es, die von meiner Macht überzeugt ist. Dann vertraue mir, wenn ich sage, dass ich sehe, wenn du lügst. Aber bleibe nur dabei, Enra .« Er streckte sich und lehnte seinen Kopf gegen die Wand, ohne jedoch seinen Blick von ihr zu nehmen.
Vinae wog inzwischen die Möglichkeit ab, ob es sich bei dem Fremden vielleicht um einen Dunkelelfen handeln könnte. Dieses Volk besaß schließlich die Gabe des Gedankenlesens, wenn auch nur bei Menschen. Außerdem verfügten sie über ein geringes Maß an Magie und konnten daher nicht als besonders mächtig angesehen werden. Oder war der Gefangene ein Drachenelf? Vinae hatte in ihrem Leben erst eine einzige Drachenelfe gesehen, doch dieses Volk verfügte über starke mentale Fähigkeiten.
»Ich sehe noch viel mehr«, unterbrach der Fremde ihre Gedanken. »Ich kenne all die Seelen, die sich hier über mir bewegen. Du wärst mir aufgefallen. Du lebst nicht im Schloss.«
»Doch«, antwortete sie, »seit kurzem.«
»Siehst du – dies entspricht wiederum der Wahrheit.«
»Wie macht Ihr das?«, fragte Vinae immer noch etwas verängstigt, zugleich jedoch auch fasziniert. »Ist es eine Gabe oder eine Art Zauber?«
»Es ist meine Natur.« Er zwinkerte ihr zu. »Und jetzt erzähl mir, was jemand wie du hier unten zu suchen hat.«
»Ich habe mich verlaufen.«
»Ah, ah, ah.« Er hob den Zeigefinger und schüttelte ihn tadelnd. »Bewahre nur deine Geheimnisse, aber lüge mich nicht an.«
»Aber es ist die Wahrheit. Ich hatte kein besonderes Ziel. Ich bin auf der Suche.«
»Wonach?«
»Das ...« Vinae lächelte zum ersten Mal, seit sie hier unten war, »... ist mein Geheimnis.«
Der Fremde lachte. »Jetzt verstehst du, wie das Spiel hier läuft, auch wenn ich zugeben muss, dass du mich neugierig machst, meine schöne Seele.«
»Wieso nennt Ihr mich immer so?«
»Irgendwie muss ich dich doch nennen, wenn du mir deinen wahren Namen nicht verraten willst. So nenne ich dich nach dem, was ich sehe.«
»Und wie soll ich Euch nennen, Fremder? Etwa Schatten?«
Der Gefangene nickte lachend. »Das gefällt mir, wo ich doch die Schatten dem Licht vorziehe und hier unten wohl selbst zu einem geworden bin.«
»Dann will ich Euch Gregoran nennen – den sehenden Schatten –, bis Ihr Euch an Euren wahren Namen erinnern könnt.« Sie rutschte noch ein Stück näher, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, als sein Blick plötzlich intensiver wurde. Hungriger.
»Wieso fürchtest du dich?«, fragte er und schürte ihr ungutes Gefühl mit dieser Frage nur noch weiter. »Ich bin doch nur ein hilfloser Gefangener.«
»Verzeiht.« Vinae schüttelte den Kopf. »Ihr habt etwas an Euch. Ich kann es nicht beschreiben.«
Gregoran nickte langsam. »Ungewöhnliche Gaben und Macht wirken oftmals bedrohlich, deswegen bin ich wohl auch hier.«
Vinae blickte auf und verfluchte sich selbst für ihr dummes Verhalten. Er war ein Opfer der Fürsten wie so viele andereauch, und sie verhielt sich, als wäre er ein Verbrecher. »Ich scheine ein Talent dafür zu haben, Euch zu beleidigen.«
»Nein, meine schöne Seele, das tust du wahrlich nicht, und heute ist ohnehin ein guter Tag. Da bringt mich nichts so leicht aus der Ruhe.«
»Ein guter Tag? Inwiefern unterscheiden sich die Tage für Euch hier unten?«
»Nun. Die Fürstenhexe hat das Schloss verlassen und kommt auch nicht so bald wieder. Das, meine schöne Seele, bedeutet einen guten Tag.«
Meine Mutter?, hätte sie beinahe gefragt, doch sie konnte sich gerade noch zusammennehmen. »Ihr meint Meara Thesalis?«, fragte sie stattdessen. »Wie könnt Ihr wissen, dass sie fort ist?«
Gregoran knurrte. »Ich kenne ihre Seele. Ich kenne sie wie keine andere und spüre sie durch die dicksten Mauern, spüre sie hinaus bis in die Stadt.« Er sah Vinae an, und seine goldenen Augen schienen Funken zu sprühen. »Sie hat mich gefangen genommen, hierhergebracht. Sie hat mich gefoltert und ... nein, du wunderschöne Seele, das ist nichts für deine unschuldigen Ohren.«
Vinae holte tief Luft. Natürlich waren die Taten ihrer Mutter keine Überraschung, und doch war sie ein ums andere Mal erschüttert. »Ich kenne die Grausamkeiten dieses Landes«, sagte sie mit Bitterkeit in der Stimme. »Meine Augen und Ohren
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