Elfenkrieg
haben nichts Unschuldiges mehr an sich.«
Gregoran kniff seine Augen etwas zusammen. »Erstaunlich«, sagte er und maß sie mit seinen Blicken. »Du sprichst die Wahrheit, und doch hat deine Seele nicht den geringsten Schaden an den Schrecken dieses Landes genommen. Du bist die Unschuld selbst.«
»Ihr seid Euch so sicher.« Vinae wusste nicht, ob sie verlegen oder verängstigt sein sollte.
»Natürlich bin ich mir sicher«, antwortete er ernst, »und ich lüge niemals, meine schöne Seele.«
»Und Ihr wisst tatsächlich, wann Meara Thesalis hier ist und wann nicht?« Niemals zuvor hatte sie von solch einer Fähigkeit gehört.
»Ja, gewiss. Ich habe sie mir eingeprägt in all den Stunden ...« Er hielt einen Augenblick lang inne und sah sie prüfend an, ehe er fortfuhr. »In all den Stunden der Qual.«
»Was hat sie Euch angetan?« Sie war nicht sicher, ob sie die Antwort hören wollte, doch andererseits musste sie die Wahrheit über ihre Mutter wissen.
Gregoran lehnte seinen Kopf an die Wand und seufzte. »Sie hat mir meine Macht genommen«, antwortete er bitter. »Sie und die Fürsten haben sich in ihrer Gier an mir bedient. Als hätten sie nicht genug davon. Glaub mir, meine schöne Seele, sie haben mich ausgesaugt, mir alles genommen, was mich ausmacht, und doch fürchten sie immer noch meine Rache und halten mich hier mit den magischen Barrieren gefangen.«
Vinae konnte nichts sagen. »Es tut mir so leid«, hauchte sie dann nach einer Weile und konnte immer noch nicht fassen, welcher Frau sie ihr Leben verdankte.
»Ich halte nichts von diesen Worten«, antwortete Gregoran abwinkend, als er jedoch ihren erschrockenen Ausdruck sah, hob er seine Hand und fuhr fort. »Doch da du sie mit solcher Ehrlichkeit aussprichst, sage ich dir meinen Dank dafür. Ich sage dir aber auch, dass es dir nicht leidtun muss. Der Tag der Rache wird kommen. Ich habe mir ihre Seele gemerkt, und wenn es so weit ist, wird sie sich nicht verstecken können. Ich werde sie töten und alle, die daran beteiligt waren. Das Geschlecht der Thesalis wird ausgelöscht, ausnahmslos.«
Der Hass seiner Worte ließ sie schaudern. Es war richtig gewesen, ihm nicht ihren wahren Namen zu verraten.
»Ich mache dir ja schon wieder Angst.« Der Fremde lachte. »Du musst dir keine Sorgen machen, schöne Seele. Du warst an den Gräueln vor vierundachtzig Jahren nicht beteiligt.«
»Zur Zeit des Wiedervereinigungskrieges? Da war ich noch nicht geboren.«
»Darüber solltest du dich glücklich schätzen.«
»Ja, scheint so.« Vinae wusste von der Grausamkeit dieser Zeit und auch, welche Rolle ihre Mutter dabei gespielt hatte. Wer konnte schon ahnen, wie viele Magier und Gefangene sie damals gequält hatte?
»Ich bin nur kein Freund von Rache«, erklärte sie und versuchte, sich ihre Bestürzung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
»Nein, das bist du nicht. Aber ich werde mir auch deine Seele merken.«
Vinae blickte auf. »Ach ja?« Wieder befiel sie eine Mischung aus Misstrauen und Verlegenheit.
»Natürlich. Solch eine Seele vergisst man nicht so schnell.«
»Dann werdet Ihr wissen, wenn ich wiederkomme. Denn ich werde wiederkommen, Gregoran und ... ich kann etwas mitnehmen. Bekommt Ihr genug zu essen? Braucht Ihr Medizin?«
Gregoran lachte. »Du könntest auch einfach einen davon wegnehmen«, sagte er und deutete auf die Kristalle. »Schiebe sie einfach etwas zur Seite, und du kannst dich einer guten Tat erfreuen.«
Vinae sah ihm in die Augen, und erneut hatte sie das Gefühl, dass sein Blick mit einer Kraft in sie eindrang, die sie beinahe willenlos machte. Noch vor wenigen Tagen hätte sie nicht gezögert. Niemand verdiente es, hier unten so lange eingesperrt zu sein, gleichgültig, welches Verbrechen verübt worden war, und es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Gefangenen befreit hatte, doch Daeron würde sofort wissen, dass sie es gewesen war, und seine Drohung war mehr als deutlich gewesen.
»Das kann ich nicht«, sagte sie seufzend. »Es tut mir leid.«
»Du kannst nicht?« Der Fremde beugte sich blitzschnell zu ihr vor, so dass Vinae vor Schreck aus ihrer knienden Position zurückfiel. »Willst du zusehen, wie ich hier zugrunde gehe? Sie lassen mich verhungern, lassen mich hier allein in der Dunkelheit zurück und vergessen mich.«
»Es tut mir leid.« Ihre Stimme zitterte erneut. Selbst wenn Daeron ihr nicht gedroht hätte – sie würde den Fremden nicht befreien. Diese Augen, dieser lodernde Zorn! Er machte ihr Angst.
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