Elfenkuss
Akne verschont und ihre blonden Haare wurden nie fettig. Sie war eine kleine, geschmeidige Fünfzehnjährige mit ovalem Gesicht und hellgrünen Augen. Laurel war immer dünn, doch nicht mager gewesen und hatte sich in den letzten Jahren sogar gewisse Kurven zugelegt. Sie war lang- und zartgliedrig und bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin, obwohl sie nie Ballettunterricht gehabt hatte.
»Ich meine, die haben andere Sachen an.«
»Die kannst du auch haben, wenn du möchtest.«
»Jaja, aber die tragen so klobige Schuhe und enge Jeans und drei T-Shirts übereinander, so sieht es jedenfalls aus.«
»Und?«
»Ich mag keine engen Sachen. Die kratzen und ich fühle mich unwohl. Und bitte, wer trägt freiwillig klobige Schuhe? Iih.«
»Dann zieh dich an wie immer. Wenn das irgendwen stört, wären das wohl kaum die richtigen Freunde.«
Ein typisch mütterlicher Rat. Nett, ehrlich und nicht zu gebrauchen. »Laut ist es auch.«
Laurels Mutter ließ den Teig ruhen und strich sich den Pony aus dem Gesicht. Mit einer Mehlspur auf den Augenbrauen sagte sie: »Also, Süße, du kannst nicht erwarten, dass eine Highschool auch nur annähernd so leise ist wie wir beide allein. Sei vernünftig.«
»Bin ich, bin ich. Ich rede doch gar nicht von normalem Lärm; die rennen wie wild durch die Gegend, die kreischen und lachen und heulen, so laut sie können. Außerdem knutschen sie an den Schließfächern.«
Ihre Mutter stützte die Hand in die Hüfte. »Sonst noch was?«
»Ja, in den Fluren ist es dunkel.«
»Das stimmt nicht«, sagte Laurels Mutter ungeduldig. »Wir zwei haben uns letzte Woche die ganze Schule angesehen und die Wände sind weiß gestrichen, das weiß ich genau.«
»Aber es gibt keine Fenster, nur dieses eklige Neonlicht. Das ist so künstlich und bringt überhaupt kein richtiges Licht in den Flur. Es ist einfach … dunkel. Ich möchte wieder nach Orick.«
Ihre Mutter formte den Teig zu Brotlaiben. »Es gab bestimmt auch etwas Gutes, erzähle es mir.«
Laurel ging zum Kühlschrank.
»Nein«, sagte ihre Mutter und hob die Hand, um sie aufzuhalten. »Erst erzählst du mir etwas Schönes.«
»Äh … ich habe einen netten Jungen getroffen«, antwortete Laurel und ging um ihre Mutter herum, um sich eine Dose Limo zu holen.
»David … David Sowieso.«
Jetzt verdrehte ihre Mutter die Augen. »Na klar. Wir ziehen in eine neue Stadt und stecken dich in eine neue Schule und an wen hängst du dich als Erstes – an einen Jungen.«
»Es ist nicht das.«
»Das sollte ein Witz sein.«
Laurel blieb schweigend stehen und hörte zu, wie der Brotteig auf die Arbeitsplatte geschlagen wurde.
»Mom?«
»Ja?«
Laurel holte tief Luft. »Muss ich da wirklich wieder hin?«
Ihre Mutter rieb sich die Schläfen. »Laurel, das hatten wir doch schon zur Genüge.«
»Aber …«
»Nein. Das Fass machen wir nicht noch mal auf.« Sie lehnte sich an die Spüle und sah Laurel aus nächster Nähe an. »Ich kann dir nicht mehr genug beibringen. Ehrlich gesagt hätte ich dich schon früher in die Schule bringen sollen, aber von Orick hätten wir so weit fahren müssen und dein Dad pendelte doch auch schon … und überhaupt. Es ist höchste Zeit.«
»Aber du könntest uns doch bei einem dieser Programme anmelden, über die man zu Hause unterrichtet wird. Ich habe mir im Internet welche rausgesucht«, sagte Laurel schnell, weil ihre Mutter bereits den Mund öffnete. »Du musst gar nicht mehr die Lehrerin spielen, das läuft alles über das richtige Material.«
»Und was kostet das?«, fragte ihre Mutter leise und zog fragend eine Augenbraue hoch.
Laurel schwieg.
»Weißt du was?«, sagte ihre Mutter nach einer Weile,
»darüber können wir in einigen Monaten nachdenken, wenn du dich in der Schule dann immer noch unwohl fühlst. Aber solange wir das Haus in Orick nicht verkauft haben, reicht das Geld nicht für Extrawürste. Das weißt du auch.«
Mit hängenden Schultern senkte Laurel den Blick.
Sie waren vor allem deshalb nach Crescent City gezogen, weil ihr Vater eine Buchhandlung in der Washington Street gekauft hatte. Anfang des Jahres war er hier durchgekommen und hatte das Verkaufsangebot der Buchhandlung gesehen, die geschlossen werden sollte. Laurel erinnerte sich daran, wie ihre Eltern wochenlang diskutiert hatten, ob sie den Laden kaufen sollten oder nicht. Damit würden sie sich einen Traum erfüllen, den sie seit den ersten Ehejahren hegten, aber das Geld reichte hinten und vorne nicht.
Doch Ende April
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