Elfenliebe
wird, sondern zum Zweck der Familiengründung – um einen Setzling auf die Welt zu bringen und eine gesellschaftliche Einheit zu werden.«
Laurel kicherte, um die Spannung zu lockern, die zwischen ihnen entstanden war. »Die Vorstellung ist einfach zu komisch, dass Elfen erst Kinder bekommen, wenn sie hundert Jahre alt sind.«
»Da sind wir hier gerade im mittleren Alter. Wenn wir erst erwachsen sind, verändern wir uns kaum bis zum Alter von hundertvierzig oder hundertfünfzig. Aber dann altern wir ziemlich schnell – nach Elfenmaßstäben jedenfalls. In weniger als zwanzig Jahren kann aus jemandem, der wie ein dreißigjähriger Mensch aussah, einer werden, der wie ein sechzig- oder siebzigjähriger Mensch aussieht.«
»Werden denn alle zweihundert Jahre alt?«, fragte Laurel. Die Vorstellung, zweihundert Jahre zu leben, raubte ihr den Atem.
»Mehr oder weniger. Einige Elfen leben länger, andere kürzer, aber nicht viel.«
»Werden Elfen denn nicht krank und sterben daran?«
»So gut wie nie.« Tamani beugte sich vor und stupste sie auf die Nase. »Dafür haben wir ja euch.«
»Was meinst du damit?«
»Nicht dich persönlich natürlich, aber eben die Herbstelfen. Das ist, als hätte man die weltbesten … Mist, wie nennt ihr das noch mal … Bankhäuser?« Er seufzte. »Hilf mir. Wo gehen die Leute hin, wenn sie krank sind?«
»Ins Krankenhaus?«, schlug Laurel vor.
»Genau.« Tamani schüttelte den Kopf. »Mann, es ist lange her, seit ich ein Menschenwort so gründlich vergessen habe. Ich meine, wir sprechen alle Englisch, aber der Menschendialekt ist schon fast eine eigene Sprache.«
»Mit den Wächtern hast du eben aber nicht Englisch geredet«, sagte Laurel.
»Willst du heute wirklich noch mehr über unsere Geschichte hören?«, neckte Tamani sie.
»Warum nicht?« Laurel labte sich gerade an einem Spieß mit köstlichen Nektarinen. In Avalon war wohl immer Erntezeit.
»Das war Gälisch. Über die Jahre hatten wir durch die Tore reichlich Kontakt mit der Menschenwelt. Am-fear-faire zum Beispiel ist eigentlich ein gälisches Wort für ›Wachtposten‹, das wir übernommen haben, als die
Menschen, die wir trafen, noch Gälisch sprachen. Heutzutage ist es nur noch eine Formalität.«
»Und warum sprechen dann alle Englisch? Es gibt doch auch noch Tore in Ägypten und Japan.«
»Und nicht zu vergessen in Amerika«, sagte Tamani lächelnd. »Mit den amerikanischen Ureinwohnern sind wir ebenso in Berührung gekommen wie mit den ägyptischen und japanischen.« Er lachte. »Die Ainu kannten wir besonders gut – das ist das Volk, das dort vor der Ankunft der Japaner lebte.« Er grinste. »Aber auch die Ainu haben nie richtig begriffen, wie lange wir schon da waren, bevor sie gekommen sind.«
»Mehrere hundert Jahre?«, riet Laurel.
»Tausende von Jahren«, erklärte Tamani feierlich. »Die Elfen gibt es schon viel länger als die Menschen. Allerdings haben sich die Menschen schneller fortgepflanzt und weiter verbreitet als wir. Und sie sind entschieden robuster, jedenfalls was das Überleben bei extremen Temperaturen angeht. Unsere Wachtposten überstehen die Winter am Tor von Hokkaido nur mithilfe der Herbstelfen. Aus diesem Grund ist es so gekommen, dass die Menschen die Welt beherrschen. Wir müssen lernen, in ihrer Mitte zu leben. Die Sprache spielt dabei eine große Rolle. In Schottland haben wir ein Ausbildungszentrum eingerichtet. Dort spricht man, wie du weißt, Englisch. Jeder Wachtposten, der es mit der Menschenwelt zu tun bekommt, absolviert eine Trainingseinheit von mehreren Wochen – mindestens.«
»Du und Shar, ihr wurdet dort ausgebildet?«
»Und viele andere.« Tamani hatte sichtlich Gefallen an
dem Thema gefunden und erzählte ohne die übliche Zurückhaltung, die er sonst in Avalon an den Tag legte. »Verdeckte Ermittlungen werden normalerweise von Funklern übernommen, und es kommt nur selten vor, dass ein Mixer eine Zutat braucht, die nicht in Avalon wächst. Das Landgut ist um das Tor herum gebaut und liegt mitten in einem ausgedehnten Wildreservat. Auf diese Weise wird erstens das Tor gut bewacht und zweitens die Verbindung zu den Menschen aufrechterhalten. Es wurde vor einigen Jahrhunderten erworben, auf die gleiche Weise, wie wir uns auch dein Grundstück gesichert haben.«
Laurel musste über Tamanis Begeisterung lächeln. Er wusste eindeutig mehr über die Menschenwelt als andere Elfen, und zwar nicht nur, weil er dort lebte, sondern weil er sich schon ewig dafür
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