Elfenlied
deine Dienste für Albenmark nicht zu würdigen weiß.«
Der Elf nickte knapp und zog sich dann wortlos zurück.
»Nun zu dir, Gromjan. Dein Auftritt lässt mich daran zweifeln, dass du tatsächlich der richtige Umgang für ein junges Mädchen bist.«
»Dieser Palast ist nicht …«
Emerelle schnitt ihm mit einer harschen Geste das Wort ab. »Was du über die Mauern der Burg zu sagen hast, habe ich bereits gehört. Du wirst Ganda mit dir nehmen, aber sei dir gewiss, ich werde dich aus der Ferne beobachten. Wenn du nicht gut auf sie achtgibst, werde ich dir persönlich das Fell über die Ohren ziehen. Und das ist keinesfalls eine leere Drohung.« Sie sprach in einem Ton, der mich unter der warmen Decke frieren ließ.
Gromjan hob den Kopf und sah sie herausfordernd an; doch ich bemerkte, dass er zugleich seine Rute zwischen die Beine geklemmt hatte.
»Wenn die Ereignisse der letzten Tage der Maßstab sind, kann ich es wohl kaum schlechter machen«, gab er ihr zur Antwort.
Die beiden maßen einander mit Blicken. Ich weiß nicht, woher Gromjan den Mut nahm, der Elfenkönigin derart hochmütig zu begegnen. Was sah er in ihr, das mir verborgen blieb? Emerelle war immer gut zu mir gewesen! Warum tat er das?
»Glaubst du, dass du gehen kannst, Kleines?« Er wandte den Blick nicht von Emerelle ab, während er mich fragte.
»Nicht weit …«
»Bis zum Thronsaal. Und dann nur noch ein paar Schritt. Weiter musst du es nicht schaffen.«
Ich erhob mich und streifte das mohnblütenrote Kleid über. Mir zitterten die Beine vor Schwäche. Aber ich wollte fort, wenn auch nicht von Emerelle. Ich sah mich zögernd um.
»Was suchst du?«, wollte Gromjan wissen.
»Meine Sachen!«
»Von hier wirst du nichts brauchen. Das hat dort, wo wir hingehen, keinen Wert!«
Jetzt, als ich stand, sah ich auch sein Schuhwerk. Es war in einem erbärmlichen Zustand. Um den linken Stiefel hatte er ein Lederband gewickelt, weil sich die Sohle gelöst hatte. Trotz der notdürftigen Reparatur lugten seine Zehen unter dem Leder hervor.
»Ich werde deine Sachen für dich aufheben«, sagte Emerelle freundlich. »Du wirst hierher zurückkommen.«
»Nicht, wenn sie auch nur einen Funken Verstand hat. Du warst das Unglück ihrer Eltern. Sie wirst du nicht auch noch bekommen.« Gromjan packte mich beim Arm und zerrte mich mit sich.
»Was hat sie getan?«
Er antwortete nicht, sondern zog mich hinaus auf den Flur. Trotz seines gebeugten Rückens und des Gehstocks bewegte er sich erstaunlich schnell. Die Albenkinder im Palast starrten uns an. Keiner sagte etwas. Einigen Elfen merkte ich an, dass sie ein Lächeln zurückhalten mussten. Augenscheinlich waren die meisten hier froh, mich loszuwerden.
Schritte folgten uns. Ich hoffte auf Emerelle. Sie musste noch irgendetwas sagen. Sie mochte mich gern! Sie konnte mich doch nicht einfach so von einem alten Lutin aus ihrem Palast zerren lassen! Emerelle war wie eine Mutter für mich gewesen. Sie hätte mich in den Arm nehmen sollen, bevor ich ging, so wie meine eigene Mutter es nicht getan hatte.
Doch als ich zurückblickte, sah ich Alvias. Ausgerechnet Alvias! Sein Gesicht war eine Maske. Es war unmöglich zu erraten, was er dachte. Wollte er sicher sein, dass ich endlich aus seinem Palast verschwand? Oder sorgte er sich um mich?
Wenn ich jetzt auf all die Jahre zurückblicke, die seit jenem Tag verstrichen sind, dann glaube ich fast Letzteres. Doch wer begreift schon Elfen! Jedes Mal, wenn ich meinte, einen von ihnen zu kennen, geschah etwas, das alle vermeintliche Gewissheit hinwegfegte. So wie damals mit Ollowain bei der Sumpfhexe … Doch ich schweife ab.
Gromjan brachte mich in den Thronsaal der Königin. Der große, runde Saal hatte keine Decke, jedenfalls keine, die man hätte sehen können. Hoch über unseren Köpfen zogen dunkle Wolken dahin. Leise plätscherte das Wasser, das in silbernen Kaskaden über die Wände des Saals floss. Man muss wohl ein Elf sein, um den besonderen Reiz nasser Wände zu begreifen. Es war klamm im weiten Rund des Thronsaals, und erstaunlicherweise war außer uns niemand zugegen. Es schien, als sei meine vermeintlich so abrupte Abreise doch besser vorbereitet, als ich zunächst angenommen hatte.
Der Boden war mit einem bunten Mosaik ausgelegt. Es zeigte sieben Schlangen, die sich einander umschlingend bekämpften. Obwohl ich das Bild schon oft gesehen hatte, machte es mir plötzlich Angst. Ich musste wieder an Bollo denken.
Deutlich spürte ich die Magie, die den
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