Elfennacht 01. Die siebte Tochter
t – aber bald. Versprochen.« Wie geheimnisvoll! Das gefiel Anita: das Gefühl, dass es an ihm noch viel zu entdecken gab.
Natürlich hatten Jade und die anderen alles haarklein über ihr Treffen mit Evan wissen wollen: Wie es gelaufen sei? Ob er sie nach Hause gebracht und ob er sie geküsst habe? Ob sie zusammen wären?
Tania hatte geduldig alle Fragen ihrer Freundinnen beantwortete: Wir haben uns bloß unterhalten, mehr nicht, und er hat mich zum Kaffee eingeladen. Ja, er hat mich nach Hause gebracht. Nein, wir haben uns nicht geküsst. Da auf jeden Fall noch nicht. Ob wir zusammen sind?– Ich weiß es nich t … noch nicht.
Anita betrachtete sich wieder im Spiegel. Der erste Kuss war für sie ziemlich überraschend gekommen. Da hatte er ihr auch das mit dem Goldstaub in den Augen gesag t – und in diesem Augenblick hatte sie ihm geglaubt.
Vor ein paar Tagen hatte er ihr verraten, dass er etwas für ihren Geburtstag plane. Morgen würde sie sechzehn werden. Mittags wollte sie zu Hause eine Grillparty für all ihre Freunde geben, aber Evan meinte, er wolle am Tag davor etwas ganz Besonderes machen, nur sie beide ganz allein. Als Anita fragte, was er denn vorhabe, sagte er, das werde sie schon sehe n …
Vielleicht würde er mit ihr an irgendeinen romantischen Ort fahren und ihr sagen, dass er sie liebe.
Sie musterte ihr Spiegelbild. Wie würde sie darauf reagieren? So etwas hatte noch keiner zu ihr gesagt. Der Gedanke, dass Evan ihr vielleicht eine Liebeserklärung machte, haute sie ziemlich um und war irgendwie erschrecken d – aber auch total aufregend.
Sie hatte das starke Gefühl, dass sie den Satz gern erwidern würde.
Den Blick auf ihr Spiegelbild geheftet, bewegte sie stumm die Lippen: Ich liebe dich, Evan . Am liebsten hätte sie laut geschrien, aber sie wusste nicht, ob vor Freude oder aus Panik.
Auf einmal juckten ihre Schulterblätter wieder schmerzhaft und das riss sie aus ihren Tagträumen.
Sie öffnete das Arzneischränkchen, um nach der Antihistaminsalbe zu suchen.
Eine halbe Stunde später rannte sie durch den Flur und rief ihren Eltern durch die geöffnete Wohnzimmertür schnell ein »Tschüss!« zu.
»Du bist spät dran!«, rief ihr Vater. »Bestimmt hat Evan die Warterei schon satt. Bis du da bist, ist er längst über alle Berge.«
»Vielen Dank für dein grenzenloses Vertrauen, Dad!«, schrie Anita grinsend zurück. »Ich glaube, ein bisschen mehr Geduld bringt er schon auf.«
Sie sprang mit einem Satz die Eingangsstufen hinunter, wobei sie sich am Geländer festhielt. Dann rannte sie zur U-Bahn-Station Camden Town. Der ganze Aufwand, den sie betrieben hatte, um für Evan gut auszusehe n – und jetzt war sie viel zu spät und würde verschwitzt und außer Atem ankommen.
Auf der steilsten Höh’ der Tagesreise steht die Sonne jetz t … drei lange Stunden sind’ s – und dennoch bleibt sie au s …
Anita juchzte vor Begeisterung, als das Schnellboot übers Wasser raste und der Wind ihr die Haare ins Gesicht peitschte.
»Na, wie findest du deine Geburtstagsüberraschung?«, rief Evan, der am Steuer stand. Er hatte Mühe, den Motor und das Platschen und Spritzen des Kiels auf dem Wasser zu übertönen. »Gefällt’s dir?«
»Ob’s mir gefällt? Es ist genial!« Sie juchzte erneut auf, als der Bug sich kurz senkte und gleich darauf wieder hob. Er durchschnitt die sich kräuselnde Wasseroberfläche wie ein heißes Messer. Gischt prickelte auf ihrem Gesicht. »Das ist das tollste Geschenk, das ich je bekommen hab!«
Lächelnd nahm er eine Hand vom Steuer und strich ihr übers Haar. Sie zitterte ein wenig bei seiner Berührung, küsste seine Hand und drückte sie an ihre Wange. Sie war so glücklich, dass sie das Gefühl hatte, gleich zu platzen. Mit klopfendem Herzen sah sie Evan an. Sein dunkelblondes Haar flatterte wild um seinen Kopf. Seine kastanienbraunen Augen hatte er gegen den Fahrtwind zusammengekniffen. Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er sie an.
Evan lenkte das Boot unter einem der Bögen der Westminster Bridge hindurch. Einen Herzschlag lang fuhren sie im Schatten, dann schossen sie wieder ins helle Sonnenlicht hinaus. Zur Rechten konnte Anita die gotischen Turmspitzen der Houses of Parliament sehen und dahinter Bürogebäude und weitere Türme, die sich schimmernd gegen den wolkenlosen knallblauen Himmel abhoben.
»Und das ist erst der Anfang«, fuhr er fort. »Wir fahren nämlich bis nach Richmond. Dort können wir was essen und ein bisschen am
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