Elfenwinter
Seidenstoff drückte.
Shahondin schrie. Er drückte beide Hände auf seinen Bauch. Blut war auf seinen Lippen. Etwas Dunkles zwang sich aus seinem Leib. Knirschend bogen sich die Rippen auseinander. Sie zerrissen Muskeln und Haut. Ein dunkler Hundekopf, bedeckt mit schwarz schillernden Schuppen, schob sich aus seiner Mitte. Shahondin stürzte in den Schnee. Pfoten mit langen Krallen zerrissen den Leib, den Lyndwyn erschaffen hatte. Eisige Kälte wehte von der Hundegestalt. Eine Kälte, die selbst den Winter zittern machte.
»Erschrick nicht, mein Kind.«
Wieder war diese Stimme in ihrem Kopf. Sie klang lüstern und falsch! »Ein Unfall. Ein kleines Missgeschick nur. Dein Zauber war unvollkommen, wie damals bei dem ersten Vogel, den du erschufst. Gib mir den Stein! Wir können das ändern. Alles können wir ändern.«
Lyndwyn rief ein Wort der Macht. Ein flammender Bannkreis brannte im Schnee. Sie hatte sich täuschen lassen. Was immer dort aus dem Leib des Großvaters geboren wurde, es war nicht mehr Shahondin. Diese Kreatur durfte nicht sein!
Die Zauberweberin dachte an ihren Tanz über dem Feuer. Den Traum. Den Chor der Magie. An die Hitze. Den Gedanken an die Hitze wob sie in den Leib, den sie erschaffen hatte.
Der Hundekopf bog sich zurück.
»Du kannst mich nicht… «
Lyndwyn verschloss sich vor der Stimme in ihr. Sie trug den Albenstein! Sie vermochte jeden Zauber zu meistern, dachte sie zornig.
Die schwarze Gestalt schien in Shahondins zerrissenen Leib zurückkriechen zu wollen. Sie winselte wie ein junger Welpe. Plötzlich schien sie von innen heraus zu leuchten, einem dunklen Seidenlampion gleich, in den man eine Kerze stellte. Flammen schlugen aus der Schnauze.
Der Leib, den Lyndwyn erschaffen hatte, verging in blendendem Licht. Nur ein paar Ascheflocken blieben, die vom Wind den verschneiten Hang hinabgetragen wurden.
Erschöpft sank sie in den Schnee. War diese Kreatur wirklich ihr Großvater gewesen? Sie hatte so viel über sie gewusst… Doch sie war nicht der Shahondin gewesen, mit dem sie ihre Kindheit verlebt hatte! Sie sah den Ascheflocken nach. Weit unter ihr am Hang bewegte sich etwas. Trolle! Sie mussten das Licht gesehen haben. Lyndwyn blickte zu ihrem Geliebten. Es würde noch Stunden dauern, bis Ollowain erwachte. Und auch dann wäre er zu geschwächt. Sie hatte nicht die Kraft, ihn zu tragen. Und es gab kein Versteck. Zwei Stunden vielleicht, dann wären die Trolle hier. Es sei denn…
Traurig beugte sie sich über Ollowain und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. »Du bist gekommen, um mich aus dem Feuer zu holen, mein weißer Ritter. Nun werde ich dich retten.« Sie drückte ihm den Albenstein in die Rechte. Um zu zaubern, fehlte es ihr an Kraft, nachdem sie ihrem Großvater einen Leib erschaffen und ihn dann wieder vernichtet hatte. Aber es gab noch einen anderen Weg, ihren Geliebten zu retten.
Sie erhob sich. Ein letztes Mal sah sie wehmütig zu Ollowain zurück. Dann ging sie den Trollen entgegen.
»ICH HEISSE BIRGA«
Lyndwyn war auf einen großen Schild gebunden. Eine enge Lederschlinge lag um ihren Hals, Arme und Beine waren weit abgespreizt und ebenfalls mit Schlingen gefesselt. Der Schild stank nach Blut und Exkrementen. Ein Auge war der Elfe zugeschwollen, und dennoch war sie bisher glimpflich davongekommen. Bisher… Ein Stück neben dem Brett lag eine helle Haut im Schnee ausgebreitet. Darauf waren allerlei kleine Messer verstreut. Primitive Klingen aus Knochen und Feuerstein. Dunkle Flecken verrieten ihren Gebrauch. Ein zweiter Schild war Lyndwyn gegenüber in den Schnee gerammt. Die Schama-nin stand dort und redete auf ein gebeugtes altes Weib ein, das sich auf einen Stab stützte.
»Ich sage dir, sie ist anders als die anderen, die man mir bisher gebracht hat, Skanga. Ich spüre ihre Macht, wenn ich sie berühre. Sie war erschöpft, sonst hätten drei einfache Kundschafter sie niemals fangen können.« Das Trollweib mit der widerlichen Maske sah zu ihr hinüber. Lyndwyn war sich sicher, dass es die Absicht der Schamanin war, dass sie mithörte, was besprochen wurde.
Die alte Vettel ließ sich durch die Einwände nicht beeindrucken. Lyndwyn hatte das Gefühl, dass dieses alte Weib das Sagen hatte.
»Du wirst heute bei Einbruch der Dämmerung gehen, Birga. Orgrim erreicht nun bald ein Dorf nahe einem großen Albenstern. So kannst du leicht zu ihm stoßen. Er braucht dich an sei-
ner Seite. Er darf keine Dummheiten machen, wenn er mit diesem aufgeblasenen
Weitere Kostenlose Bücher