Elfenwinter
stieß er sich mit den Füßen ab. Stahl knirschte auf Fels. Der Schlitten neigte sich in den Tunnel hinab.
Der Schwertmeister hob die Füße und verkantete sie hinter den Kufen. In rasender Fahrt schossen sie den Tunnel hinab einem schnell größer werdenden Lichtfleck entgegen. Dann waren sie umgeben von gleißender Helligkeit. Der Schlitten tat einen Satz und schlug hart auf einem steilen Eisfeld auf.
Wind brannte auf Ollowains Wangen. Er konnte kaum noch etwas sehen. Verzweifelt umklammerte er Lyndwyn und versuchte den Schlitten zu steuern. Alle tückischen Felsen waren aus diesem Bereich des Berghangs entfernt, das wusste der Schwertmeister. Er musste den Schlitten nur auf Kurs halten. Wenn sie ungefähr geradeaus fuhren, würden sie viele Meilen weit ins offene Land hinausgetragen. Mit dieser Schlittenfahrt begann die Eisprobe. Jugendliche, denen man zutraute, dass ihre Zauberkraft reichte, um sich vor dem Frost zu schützen und den Elementen zu trotzen, begannen hier ihre Reise. Und wenn sie es aus eigener Kraft über Gletscher und Abgründe hinweg bis zum Himmelshafen auf der anderen Seite des Berges schafften, dann galten sie unter den Normirga fortan als Erwachsene. Ollowain sank das Kinn auf die Brust. Lyndwyns Haar peitschte ihm ins Gesicht. Es roch nach Steinstaub. Vor seinen Augen verschwamm der gleißend helle Hang. Dann waren da nur noch Licht, das Mahlen der Kufen und der Gesang des Windes über den Klippen.
UNTER DEM ASCHEBAUM
Sie tanzte im warmen Wind. Weit unter ihr waren Flammen, die verloschen, wenn ihr Blick sie traf. Stimmen raunten in ihrem Kopf. Sie flüsterten ihr zu, die Flammen zu ersticken. Doch so sehr sie sich auch mühte, das Feuer blieb, ja, es gewann an Kraft. Jetzt schlug es höher. Ihr Kleid brannte. Jemand riss es ihr vom Leib. Eine schattenhafte Gestalt. Starke Arme umschlangen sie. Das Feuer rückte in weite Ferne. Kalter Atem streichelte ihre Wangen.
Lyndwyn blinzelte. Sie lag im Schnee. Etwas Bedrohliches war ganz nah. Sie wagte kaum zu atmen. Wie war sie hierher gekommen? Sie erinnerte sich an die Halle des Feuers, den Chor der Zauberweber… Und an jene eine Nacht mit Ollowain.
Etwas Durchscheinendes huschte vorüber. Schnüffelnd, gierig. Lyndwyn spürte den Albenstein auf ihrer Brust. Nichts konnte sie besiegen. Sie streckte sich und richtete sich dann auf. Schnee fiel von ihrem Kleid. Sie lag an einem Berghang. Dicht neben ihr ragte eine Schlittenkufe aus einer Schneewehe.
Die Zauberweberin blickte auf, als sie des fernen Grollens gewahr wurde. Sie lag am Fuß eines Berges. Meilen entfernt erhob sich eine riesige, dunkelgraue Rauchsäule. Ihre Spitze war aufgefächert wie eine Baumkrone. Der Wind zerrte den Rauch nach Westen. Dunkelrotes Glühen flackerte entlang der Unterseite der Rauchwolke. Einzelne Funken stiegen durch den Rauch, um in weitem Bogen aus dem Himmel hinabzustürzen. Dort, wo sie auf den Berghang fielen, schoss heller Wasser-
dampf empor. Weiter oben am Berg war der Schnee unter grauer Asche verschwunden. Der Gipfel hatte sich verändert. Er wirkte breiter. Der Schnee war dort völlig verschwunden. Lyndwyn sah einen roten Strom, der sich den Südhang hinabwälzte. Mehrmals spürte die Magierin den Boden unter den Füßen erbeben.
Sie erinnerte sich an den Chor. Und sie fühlte, dass all ihre Sänger verstummt waren, für immer.
Wie kam sie hierher? Sie sah sich um. Weiter unten am Hang lag eine zusammengekrümmte Gestalt, halb im Schnee begraben. Ein wenig wackelig auf den Beinen, stieg sie hinab. Ihre Knie schmerzten bei jedem Schritt. Das lange blonde Haar… Der weiße Waffenrock! Lyndwyn begann zu laufen, strauchelte schon nach wenigen Schritten im tiefen Schnee, raffte sich auf und versuchte es erneut. Es war Ollowain! Er war sie holen gekommen!
Mit zitternden Händen umfasste sie sein Gesicht. Seine Wangen waren wie Eis! Eine tiefe Wunde klaffte in seiner Schulter. Die Zauberweberin legte eine Hand auf seine Stirn. Sie schloss die Augen und fühlte seinen Leib. Sein Herz schlug schwach, aber regelmäßig. Er hatte sehr viel Blut verloren. Das Schlüsselbein links vom Hals war zersplittert, sein Schulterblatt eingekerbt. Auch eine Rippe war gespalten.
Sie schenkte ihrem Liebsten Wärme. Mehr, als es das Amulett an seinem Hals vermochte. Dann griff sie nach der Macht des Albensteins. Kraft ihrer Gedanken heilte sie die Knochen und ließ zerfetzte Muskelstränge wieder zusammenwachsen. Nur das viele Blut, das er verloren hatte, konnte sie
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