Elfenwinter
Fjord. Was bewies es schon, wenn er die Kutsche nicht fand? Asla und die Kinder konnten trotzdem hier gewesen sein. Vielleicht hatte man ihnen das Fuhrwerk gestohlen. Was mochte sich innerhalb der Wälle abgespielt haben, als die Trolle angegriffen hatten? Vielleicht war der schwere Schlitten auch durch das Eis gebrochen und würde für immer auf dem Grund des Fjords verborgen bleiben?
Alfadas wanderte ein Stück über den zugefrorenen Meerarm. Es war ein wunderschöner Wintertag. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich über das verschneite Land. Eisiger Wind wehte von Nordwest. Der Herzog spürte ihn kaum auf seinem Gesicht. Er fühlte sich wie tot.
Seine Schritte führten ihn unbewusst nach Süden. Hier, ein gutes Stück von den Erdwällen der Stadt entfernt, lag dicht am Ufer das verlassene Lager der Trolle. Heute Morgen hatte Alfa-das seinen Männern davon berichtet, was es hier zu finden gab, aber nur Einzelne wagten sich hierher. Verloren, still gingen sie zwischen den zugeschneiten Feuerstellen herum, stocherten im Schnee und hofften nichts zu finden. Und dann gingen sie zum Ufer.
Die Überlebenden der Stadt waren hierher gebracht worden. Wie es schien, hatte man Honnigsvald schon im ersten Sturmangriff genommen.
Der Herzog blickte hinüber zu dem schaurigen Hügel, bei dem Lambi und Ollowain standen. Er wusste, was der Schnee dort barmherzig verbarg. Und er wagte es nicht hinüberzugehen. Auch nicht ans Ufer. Jene Männer, die keine Verwandten hier hatten, verrichteten dort ihren schaurigen Dienst. Sie brachten die Erfrorenen zum Ufer, wenn sich die Leichen bewegen ließen. Und aus dem Knochenberg, den Lambi und Ollo-wain bewachten, bargen sie all das, was Auskunft über die Toten geben mochte. Dinge, die unverwechselbar waren. Bestickte Stiefel, ein buntes Halstuch, einen Rock, auf den kleine Flussperlen aufgenäht waren, Kinderpuppen, Armreife mit auffälligen Verzierungen, eine Bernsteinkette… Alfadas war heute Morgen kurz bei den Männern gewesen, als sie ihre Arbeit begonnen hatten. Er hatte es nicht vermocht, ihnen zuzusehen. Sie trugen einen Berg von Menschenknochen ab. Man konnte deutlich die tiefen Furchen sehen, die die Steinmesser im Gebein hinterlassen hatten, als die Trolle das Fleisch heruntergeschnitten hatten. Die Markknochen waren zerschmettert und ausgesogen. Selbst die Schädel hatten sie aufgebrochen. Sie fraßen alles, diese Bestien. Alfadas dachte an die zarten Kinderknochen, die überall verstreut gelegen hatten. Sein Magen zog sich zusammen.
»Asla hat die Kutsche genommen. Sie war nicht hier!«, sagte er mit Nachdruck. Es gab keine Spuren von ihr, den Kindern oder der Kutsche!
Wieder blickte er zum Ufer. Dort kauerten zusammengekrümmt jene, die Gewissheit gefunden hatten. Er sollte auch dorthin gehen. Aber er konnte nicht. Es war etwas anderes, in der Stadt nach einem Fuhrwerk zu suchen. Er konnte nicht die Reihe der Erfrorenen abschreiten. Es waren vor allem Alte und ganz kleine Kinder, so wie Kadlin. Eine nasse Hose war hier draußen in der Eiseskälte ein Todesurteil. Er schluckte hart. Daran, dass Asla mit den Kindern über das Eis geflohen war, gab es keinen Zweifel. Aber sie hatten keine Toten auf dem Weg nach Honnigsvald gefunden! Was immer Asla auch getan hatte, sie hatte alle gerettet, zumindest bis in die trügerische Sicherheit der Stadt.
Ollowain hatte seinen Platz am Knochenhügel verlassen. Der Schwertmeister ging ihm entgegen! Alfadas wandte sich ab. Er tat so, als hätte er den Elfen nicht gesehen. Er zitterte. Seine Kraft reichte nicht aus, um davonzulaufen. Er wollte jetzt nicht über seine Pflichten als Heerführer reden. Und er hatte panische Angst davor, dass Ollowain aus einem anderen Grund kam.
Das Eis knirschte leise, sonst hätte er den Elfen nicht kommen hören. Der Schwertmeister bewegte sich lautlos wie eine Katze. Sein Ziehvater wusste, dass er ihn gesehen hatte. Und er wollte, dass er ihn hörte. »Was gibt es?«, fragte der Herzog leise, ohne sich umzudrehen.
»Ich muss mit dir reden.« Der Elf trat vor ihn, sodass Alfadas gezwungen war, ihn anzusehen. Ollowain verbarg etwas unter seinem weiten weißen Umhang.
Alfadas atmete aus. Er konnte den Blick nicht von der verbogenen Hand abwenden. Was versteckte sie?
»Lass uns zum Wald hinübergehen.« Ollowain deutete ein Stück den Fjord hinauf, wo ein lichter Birkenhain lag. »Ich möchte allein mit dir sein.«
»Wir sind hier doch allein.« Alfadas' Stimme zitterte, so sehr er sich auch
Weitere Kostenlose Bücher