Elfenwinter
Menschlinge waren bestraft worden. Es war an der Zeit zu gehen!
Er blickte hinab zu der langen Reihe von Toten, die am Rand des Schneefeldes lagen. Hätte er Dumgar nicht den Befehl verweigert, würde er jetzt vielleicht auch dort unten liegen, dachte Orgrim bedrückt. Er sollte sich von dem Herzog vom Mordstein trennen. Dessen Torheiten wurden immer tödlicher.
Orgrim beobachtete, wie Birga einen kleinen, dunkelhaarigen Menschling aus dem Schnee zerrte. Der Kerl strampelte noch. Die Schamanin drehte ihn um und stemmte ihm ein Knie in den Rücken. Mit der einen Hand drückte sie seinen Kopf nieder, in der anderen hielt sie ein schmales Knochenmesser. Sie schnitt dem Mann in den Hals. Sein Strampeln wurde schwächer.
Neugierig geworden, ging Orgrim zu der Schamanin hinüber. Das Blut fächerte in kleine Rinnsale auf, die einander vielfach kreuzten, bevor sie ganz im Schnee versickerten. Nachdenklich musterte Birga das Bild, das entstanden war.
»Welche Geheimnisse verbirgt die Zukunft vor uns?« Der Herzog bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall, was ihm aber nicht wirklich glückte. Die Blutrituale der gesichtslosen alten Vettel waren ihm unheimlich.
Birga gebot ihm mit einer knappen Geste zu schweigen. Sie drehte den Menschen auf den Rücken. Dort, wo sein Hals zuvor gelegen hatte, war durch das warme Blut ein Loch in den Schnee geschmolzen. »Unheil zieht von Norden auf«, sagte die Schamanin plötzlich. Sie deutete zu den dunklen Wolken am Horizont, die den ganzen Tag über kaum näher gekommen waren. »Der Wind wird drehen und Pfeile tragen.«
Orgrim hasste es, wenn die Schamanin in Orakeln sprach, in die man nachträglich alles hineindeuten konnte.
»Und was rätst du mir?«
»Nimm deine Krieger und geh in die Berge. Verfolge die Menschlinge. Es gibt eine, die musst du finden. Ihre Anführerin.« Birga stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. »Sie nennen sie Herzogin, mein Herzog. Das passende Weib für dich… Ihr Blut ist von großer Macht.« Die Schamanin blickte auf das blutige Muster im Schnee zu ihren Füßen. »Nicht so wie dieses hier.«
Orgrim betrachtete die Wolken am Horizont. »Wie soll ich dieses Weib finden? Wenn der Sturm kommt, wird er alle Spuren löschen.« Birga sah zu ihm auf. Dunkle Augen glänzten hinter der Ledermaske. »Ich wusste, dass du gehen würdest, wenn ich es dir sage. Deshalb war ich in der Hütte dieses Menschenweibchens. Knie nieder vor mir!«
Orgrim gehorchte. Er mochte die Schamanin nicht, aber er hoffte, dass sie für ihn sprechen würde, wenn Dumgar ihn beim König anklagte.
Birga nahm ein Lederband von ihrem Hals, um das sie ein goldenes Haar gewickelt hatte. Vorsichtig löste sie es und rieb es zwischen Daumen und Zeigefinger zu einer kleinen Kugel. »Öffne jetzt den Mund, Orgrim.«
Sie legte ihm das Kügelchen auf die Zunge. Ihre mit Lumpen umwickelten Finger strichen dem Herzog über die Augenlider. Der dünne, zerfaserte Stoff stank nach Verwesung. Birga murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Dann versetzte sie ihm einen leichten Schlag auf die Stirn. »Du wirst die Spuren des Menschlingsweibs selbst dann finden, wenn sie unter dem Schnee verborgen liegen oder sich mit hundert anderen Fährten mischen. Sie kann dir nicht mehr entkommen!«
»Aber es wird aussehen, als wäre ich ein Feigling, wenn ich mit meinen Männern den Heerzug verlasse.«
Birga stieß ihm ein zweites Mal vor die Stirn. »Benutze deinen Kopf, Herzog! Sag Dumgar, du hättest die Weisheit seiner Worte begriffen und würdest dich ihm fügen. Dieser aufgeblasene Dummkopf wird es gern annehmen, wenn du mit deinen Männern in die Berge ziehst, um Fleisch für den Rückzug zu jagen.«
»Und was wirst du tun, Birga?«
»Ich werde mit dir kommen. Ich will dieses Menschlingsweib. Sie hat ein tapferes Herz.« Die Schamanin schnalzte mit der Zunge.
Orgrim dachte an das Versprechen, das er der Tyrannin gegeben hatte. Er sah nach Norden. Der Wind hatte gedreht. Die dunklen Wolken kamen nun rasch näher.
HOFFNUNGEN
Alfadas hatte die Anführer seines kleinen Heeres um sich geschart: die Veteranen der blutigen Tage um Phylangan und zwei junge Jarls, die sich ihnen tags zuvor mit ihren Reitern angeschlossen hatten. Sie waren Überlebende der letzten Schlacht König Horsas. Tapfere Männer. Einen von ihnen, Jarl Oswin, kannte Alfadas von früheren Feldzügen. Doch diesmal traute er ihm nicht. Oswin und seine Männer waren schon einmal vor Trollen geflüchtet. Alfadas wollte sie
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