Elfenwinter
langsamer. Die Strömung packte sie beide und zog sie unter dem Eispanzer entlang. Deutlich konnte der Junge die Sonne am Himmel sehen. Es hatte etwas Tröstliches, nicht im Dunkeln zu sein.
Das Messer entglitt seinen tauben Fingern. Er fühlte sich müde. Noch einmal drückte er sein Gesicht gegen das Eis. Etwas griff nach ihm. Dunkle Arme umklammerten seine Füße. Astwerk, dachte er noch müde. Er blickte hinauf. Die Kälte spürte er jetzt nicht mehr. Es war angenehm, vom Wasser getragen zu werden. So schön war die Sonne! So fern! So fern…
EINE BLASSE KINDERHAND
Der große Hund war am Ende seiner Kräfte. Meile um Meile hatte er sie den Fjord hinab bis zu einem engen Seitenarm geführt, der von steilen Berghängen eingefasst war. Einer von Bluts Hinterläufen war bandagiert und mit zwei hölzernen Schienen abgestützt. Dennoch hinkte er zum Erbarmen. Immer wieder strauchelte er, und jedes Mal dauerte es ein klein wenig länger, bis er sich wieder hoch kämpfte.
»Er führt uns in die Irre«, sagte Lambi vorsichtig. Er mochte dieser Quälerei nicht länger zusehen. »Die Überlebenden sind hinauf in die Berge geflohen. Hier wirst du Asla und Kadlin nicht finden.«
»Du täuschst dich«, entgegnete der Herzog entschieden. Er schien wie im Fieber. Er war kaum noch der Mann, den Lambi einmal gekannt hatte. Nach der Schlacht hatte Alfadas die Leber des Trollfürsten an den Hund verfüttert. Es war ein uralter Brauch im Fjordland, auf diese Weise mit seinen Todfeinden abzurechnen, aber hätte Lambi es nicht mit eigenen Augen gesehen, er hätte niemals geglaubt, dass Alfadas, der Elfenjarl, dazu fähig wäre. Seit sie den Dolch in jenem Knochenhaufen am Ufer bei Honnigsvald gefunden hatten, war etwas in dem Herzog entfesselt worden, das Lambi Angst einjagte. Es war eine dunkle, zerstörerische Kraft. Vielleicht ein Erbe seines Vaters? Lambi kannte viele der Geschichten über Mandred. Er war ein Axtkämpfer, der mit der Wut eines Berserkers focht. Im Zorn vermochte ihn niemand mehr aufzuhalten, hieß es. Und so ge-
bärdete sich jetzt auch Alfadas. Der kühle, stets selbstbeherrschte Anführer war verschwunden. Er hatte einem Getriebenen Platz gemacht, der ohne Rücksicht auf Verluste seinen Weg zu Ende ging. Seit drei Tagen hatte der Herzog kaum noch geschlafen. Eigentlich müsste er jeden Augenblick zusammenbrechen…
Lambi blickte zurück. Die kalten Augen der Elfenkönigin nahmen ihn gefangen. Wusste sie, was hier vor sich ging? Warum hatte sie sich der kleinen Gruppe angeschlossen, die den Herzog auf seiner verzweifelten Suche begleitete? Vielleicht war sie es, die für die dunkle Seite von Alfadas verantwortlich war. Sie war so unnahbar, als sei sie in einen Panzer aus Eis eingeschlossen. Lambi hatte sie neben den Sterbenden auf dem Schlachtfeld stehen sehen. Bei den Maurawan, die ihnen in der letzten Schlacht den Sieg gebracht hatten. Der Tod der Elfen schien Emerelle nicht zu berühren. Ihr Volk begegnete dem Tod anders als die Menschen. Keiner schrie oder wimmerte. Selten stöhnte einer ihrer Verwundeten. Eine junge Frau, deren Leib durch einen Axthieb zerfetzt war, hatte sich vor Lambis Augen in silbernes Licht aufgelöst. Er hatte das auch bei den Kämpfen in Phylangan ein paar Mal beobachtet. Aber dass es auch hier, an seinem Fjord, zwischen altvertrauten Bergen und Wäldern geschah, machte es noch unheimlicher. Die Sterbende war in diesem Licht aufgegangen. Und trotz ihrer schrecklichen Wunden hatte sie zuletzt gelächelt. Den Krieger schüttelte es bei der Erinnerung. Die Elfen mochten ihre Waffengefährten sein, aber sie blieben Furcht einflößend.
An der Seite der Königin ging Ollowain. Sie beide trugen fleckenloses Weiß und wirkten in ihrer kalten Unnahbarkeit, als seien sie Kinder des Winters. Lambi begriff den Schwertmeister nicht. Ollowain kannte Alfadas besser als irgendein anderer. Er war der Ziehvater des Herzogs! Warum redete er ihm diesen Unsinn hier nicht aus? Wenn Alfadas sich nicht bald Ruhe gönnte, würde er sich noch umbringen! Und er musste über die Zukunft des Fjordlands entscheiden. Die überlebenden Jarls hatten nach der Schlacht so entschieden. Aber Alfadas wollte sie nicht anhören! Sie würden gewiss nicht ewig warten.
Außer den beiden Elfen waren nur Veleif Silberhand und der junge Jarl Oswin auf diese nutzlose Suche mitgekommen. Und sie alle wussten es eigentlich besser, denn sie hatten Überlebende gefunden, die bezeugten, dass Asla und die anderen Flüchtlinge
Weitere Kostenlose Bücher