Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
besser, wenn ich gehe«, murmelte er.
»Wenn wir noch ein paar Blätter am Baum behalten wollen, solltest du dich wohl beeilen«, brummte der Grogoch.
»Grogoch!«, schallte es hinterher.
Dem alten Kobold fiel die Schaufel aus der Hand. »Ich auch? Gewiss doch, Herr. Ich eile …«
Hastig watschelte er Dafydd hinterher. Den mächtigen Riesen ließ man nicht warten.
Fanmór, Herrscher von Earrach und König der Crain, erwartete sie in der königlichen Halle; würdevoll saß er auf dem großen weißen Thron. In der Halle wenigstens war der Verfall kaum zu sehen, die Astvorhänge vor den Fenstern waren dicht, und grüne Lianen rankten sich um die gebogenen Astsäulen.
Fanmórs schwere Haare fielen bis über die Armlehnen herab. Die weiße Strähne war deutlich sichtbar, und der Grogoch wurde sich erschrocken bewusst, dass er ungebührlich darauf starrte. Er erinnerte sich an seine Manieren, senkte den Kopf und richtete den Blick zu Boden, während er Dafydd nach vorn folgte. Die Halle war voll, die meisten Hofschranzen waren anwesend, auch kleinere Beamte und Bedienstete.
Die königlichen Berater reihten sich links und rechts vom Thron auf, und davor stand Rhiannon, Dafydds Schwester. Die beiden zusammen zu sehen, empfand der Grogoch immer wieder als ein Wunder. Geburten waren ohnehin selten bei den Elfen und Zwillinge eine absolute Besonderheit. Fanmórs Kinder sahen einander sehr ähnlich, und sie waren unzertrennlich. Verletzte sich der eine am Fuß, stieß der andere einen Wehlaut aus. Sie hatten viel Fröhlichkeit und Gelächter ins Schloss gebracht und den Hofstaat in Atem gehalten, seit sie laufen konnten.
Rhiannon nickte ihnen erleichtert zu. »Wo warst du so lange?«, zischte sie ihrem Bruder zu.
»Bin doch da«, gab er zurück.
Sie musterte ihn schockiert. »Was hast du denn an? Diese Versammlung hat volles Ornat verlangt!«
Die Prinzessin trug ein weit fließendes Gewand aus Sternglitzerseide, das bis zu den zierlichen Fesseln reichte, einen bodenlangen Umhang mit hochgestelltem Kragen und einen langen, durchsichtigen Kopfschleier. Selbst für elfische Verhältnisse sah sie außergewöhnlich ätherisch aus.
Auch die Berater waren angemessen in farbenprächtige Gewänder mit aufwendig gestickten Mustern gekleidet, die ihren jeweiligen Status symbolisierten. Zwei von ihnen gehörten zu den hirschköpfigen Corviden, einer war ein Baumvertreter.
»Grog trägt gar nichts«, bemerkte Dafydd, der in seiner Lieblingskleidung erschienen war: enge braune Lederhose, ein dunkelgrünes Hemd mit weiten Ärmeln und braune Lederweste, passend dazu weiche Stiefel.
»Grog hat noch nie was getragen, weil seine langen Haare die Kleidung ersetzen. Du aber bist der Prinz!«
»Bitte, Kinder, hört auf damit«, flüsterte der Grogoch aufgeregt. »Wollt ihr euren Vater verärgern?«
Das schien das Stichwort zu sein. Auf einmal kam Bewegung in den Körper des Riesen, der bis dahin grüblerisch verharrt hatte, die Stirn auf eine Hand gestützt. Langsam hob er das schwere Haupt, und der Blick seiner glimmenden Augen streifte jeden einzelnen Anwesenden.
Wo sein Blick hintraf, spannte sich die Miene desjenigen an, um gleich darauf Erleichterung zu zeigen, wenn er wieder aus der Sicht war. Einige Berater scharrten bereits unruhig mit den Füßen, als das Schweigen immer noch andauerte. Der Grogoch konnte sich vorstellen, was in ihnen vorging. Wahrscheinlich waren ihre Hälse bereits eng geworden von den vielen Worten, die nur darauf warteten, an die Luft zu gelangen. Bisher hatte sich noch keiner zum plötzlichen Herbst äußern können, eine schwierige Herausforderung für die wortgewaltigen Berater, die sich gern reden hörten. Es war die erste offizielle Zusammenkunft seit dem Erwachen.
Dem
vorzeitigen
Erwachen. Fanmór hatte sich absichtlich für eine längere Frist zur Ruhe begeben und mit ihm die ganze Sippe der Crain. Das geplante Erwachen sollte zu einem bestimmten Augenblick erfolgen. Doch dann war Dafydd zu sich gekommen, weil der Herbst Einzug gehalten hatte …
»Grogoch«, schallte die tiefe Stimme des Herrschers durch die Thronhalle. »Wie viel Laub hast du bereits beseitigt?«
Der kleine alte Kobold zuckte zusammen, als er sich unversehens angesprochen sah. Er verbeugte sich tief und antwortete: »Viele Handkarren, Gebieter. Mehr, als es Sand am Meer gibt, aber weniger, als Sterne am Himmel leuchten.« Seine raue Stimme klang dünn im angehaltenen Atem der Anwesenden, und der Nachhall schlüpfte eilig
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