Elfenzeit 12: Ragnarök - Schartz, S: Elfenzeit 12: Ragnarök
ich wollte nur fragen, ob du …« Erschrocken hielt sie inne und kam dann zum Bett, setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.
»Tut mir leid«, sagte Nadja rasch. »Es ist nicht so schlimm, nur eine Schwangerschaftslaune, da hat man nah am Wasser gebaut.«
Jónína nestelte ein unbenutztes Tempo aus ihrer Jeanstasche und gab es ihr. Geräuschvoll putzte Nadja sich die Nase und wischte die letzten Tränen weg.
»Hör mal, es hat mich sowieso gewundert, wie beherrscht du bist. Jemand, der so daherkommt wie du, dem muss was Schlimmes passiert sein, aber du hast einfach so getan, als wäre das ganz normal.«
Nadja zog es vor, dazu zu schweigen. Es
war
inzwischen ganz normal für sie.
Sanft legte Jónína den Arm um ihre Schultern und streichelte sie. »Was hat man dir angetan? Bist du entführt worden?«
Nadja nickte langsam. »Irgendwie gelang es mir, zu entkommen.« Eine bessere Erklärung konnte sie nicht geben. »Ich weiß nicht mehr, wie ich hierhergekommen bin. Ich bin einfach gelaufen, die ganze Zeit …«
»Wir müssen die Polizei rufen«, sagte Jónína.
»Auf keinen Fall«, wehrte Nadja ab. »Ich will das so schnell wie möglich vergessen. Und ich bin jetzt frei.«
»Stimmt eigentlich«, bemerkte die junge Frau. »Denen würde hier auf Island sowieso nicht viel passieren. Unsere Gerichtsbarkeit ist … ziemlich nachsichtig. Eine tüchtige Ermahnung, und das war’s, so geht das oft. Ohne Beweise gibt’s nicht mal eine Gerichtsverhandlung, und für die Fragen, die die Polizei dir stellt, musst du sehr stabil sein.«
»Außerdem waren es keine Isländer«, fügte Nadja hinzu.
Jónína schnaubte. »Dann mischt sich die Gerichtsbarkeit sowieso nicht ein. Aber wir können dir anders helfen. Ich habe ein paar Freunde, die diese Scheißkerle gründlich vermöbeln würden. Danach rühren sie dich nie mehr an.«
Nadja war gerührt und getröstet. »Du kennst mich doch nicht mal …«
»Du hättest mal sehen sollen, in welchem Zustand du warst, Nadja. Und außerdem mit deinem dicken Bauch … Also, das geht wirklich zu weit. Denkst du, wir sind Unmenschen, denen das Schicksal anderer völlig gleichgültig ist?«
»Nein. Man ist das nur heutzutage nicht mehr so gewohnt.«
Jónína zögerte. »Sag mal … und der Vater deines Kindes? Was ist mit dem?«
Frustriert schlug Nadja auf die Bettkante. »Wir wurden getrennt …«
»Dann weißt du gar nicht, ob er okay ist? Vertrackte Sache, das.«
»Alles in Ordnung, ihr beiden?« Ingolfir stand auf der Schwelle, die rauchende Pfeife im Mund.
»Nee«, sagte Jónína. »Faðir, wir müssen Nadja helfen.«
»Mhm. Hab schon versucht zu telefonieren, aber die Leitung ist tot. Handy geht auch nicht. In den Nachrichten haben sie gerade gebracht, dass halb Island lahmgelegt ist. Da zieht wohl ein Sturm auf.«
»Oh weh«, sagte Nadja zum dritten Mal an diesem Tag. »Ich weiß, das hört sich jetzt komisch an, aber ich muss so schnell wie möglich weg von hier. Vermutlich seid ihr in Gefahr.«
Die beiden Isländer lachten. »Ja, das
ist
komisch«, bestätigte Ingolfir. »Als ob das nicht alle paar Wochen vorkommt! Damit werden wir schon fertig, Mädchen, bis morgen ist alles wieder in Ordnung. Jetzt wird erst mal gefeiert; die Gäste treffen gleich ein, und dann kriegst du endlich etwas zu essen. Wahrscheinlich rückt das nicht nur deinen Magen, sondern auch dein Hirn wieder gerade.«
Nadja blieb nichts anderes übrig, als mit hinunterzugehen und Vater und Tochter nach nebenan in die Scheune zu begleiten. Und da staunte sie nicht schlecht, als sie die Tische fürs Buffet sah, die Bänke, die Dekoration an Heu- und Strohballen, aufgereihte Lampions zwischen den Holzbalken und Ölfunzeln auf den Tischen. Ein richtiges Bauernfest, urig und romantisch.
»Wir feiern das Ende des Sommers«, erklärte Ingolfir.
Jónína stieß Nadja leicht in die Seite und grinste.
»Dann herzlichen Glückwunsch dazu.« Nadja lächelte. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ein Geschenk mitgebracht – irgendwas zum Erntedankfest.«
»Genügt doch, dass du da bist«, wehrte der groß gewachsene Isländer vergnügt ab. »Sunna wird platzen.«
»Kommt die etwa auch?«, rief Jónína entsetzt.
»Sicher kommt Sunna. Denkst du, das lässt sie sich entgehen?« Ingolfir stapfte zu einem schmiedeeisernen Schemel, auf dem ein beachtliches Bierfass stand. Arm konnte er jedenfalls nicht sein, dachte Nadja bei sich, denn Bier war sehr teuer wie alles Alkoholhaltige auf Island – und der
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