Elfenzeit 12: Ragnarök - Schartz, S: Elfenzeit 12: Ragnarök
gebracht, eine Wette anzunehmen: Sollte der Getreue Nadjas Frage nicht beantworten können, musste er mit dem Herrn des Totenreichs Schach spielen. Nadja hatte durch einen kleinen Trick gewonnen, und der Getreue war zunächst sehr erbost darüber gewesen, hatte sich später aber amüsiert gezeigt. Wenn sie sich nun vorstellte, wie diese beiden unheimlichen Gestalten am Schachbrett saßen und womöglich über das Leben anderer entschieden …
»Ich mag Schach allerdings auch nicht, konnte es noch nie leiden«, fügte sie hinzu. »Es zeitigt zu viele Konsequenzen.«
»Was ist denn mit dir, du bist ja ganz blass geworden?«, fragte Jón besorgt. Sigriður Heida ergoss einen Wortschwall über sie und tätschelte ihren Arm.
»Ach, nichts«, sagte sie dünn lächelnd, »ich habe nur zu viel auf einmal gegessen. Vielleicht sollte ich mich ein bisschen bewegen.«
Die ältere Frau nickte, als hätte sie verstanden, und winkte ihr, sie möge ruhig gehen.
Der Abend schritt voran, die Gäste wurden zusehends ausgelassener. Kein Wunder bei den vielen »Wasser«-gläsern, die geleert wurden. Auch das Fass war ständig in Betrieb. Das Buffet leerte sich zusehends, und Nadja beeilte sich zum Nachschub und stürzte sich vor allem auf die Süßigkeiten.
»Was ist eigentlich mit Musik?«, rief Ingolfir in die Runde. »Hat keiner von euch seine Instrumente dabei?«
Natürlich hatten sie und nur darauf gewartet, sie holen zu dürfen. Grölend stolperte eine Gruppe zu den Autos und kam mit musikalischer Ausrüstung zurück.
Jónína wandte sich dem ausländischen Gast zu. »Was weißt du über isländische Musik, Nadja?«
»Hmm … äh … Björk?«, fragte sie verlegen zurück.
Sie erntete kreischendes Gelächter, und das wunderte sie nicht im Mindesten.
»Also, das geht nicht!«, rief Ingolfir. »Auf und zusammengestanden, Männer, jetzt wird gesungen!«
Und dann führten sie Nadja alte isländische Weisen mit und ohne Instrumentenbegleitung vor, und sie lauschte aufmerksam auf Jónínas Übersetzungshilfe. Epische Verse, heroische Sagen, tragische Liebesgeschichten – nichts wurde ausgelassen, bis schließlich die ganze Scheune leidenschaftlich im Chor mitsang, einschließlich Nadja, nachdem sie sich den Reim mit ihren zunehmend geschulten Elfenohren gemerkt hatte.
Danach lachten und klatschten alle, und die Feier wurde vergnügt fortgesetzt.
Kurz vor Mitternacht konnte Nadja die Augen nicht mehr offen halten und suchte Ingolfir auf. »Bist du mir sehr böse, wenn ich schlafen gehe?«
»Hat mich eh schon gewundert, wie lange du durchgehalten hast.« Er schmunzelte. »Das viele Essen, und wir Isländer sind ziemlich anstrengend.«
»Ich habe mich hervorragend amüsiert«, versicherte sie. »Es sind unglaublich nette Leute da, und ich habe sogar ein wenig Isländisch gelernt.«
»Ist dir aufgefallen, wie sich alle davor gedrückt haben, meinen Geburtstag zu erwähnen?«, fragte er mit verstecktem Lachen.
Nadja blinzelte den großen, schweren Isländer verdutzt an. »Ich ebenfalls, weil Jónína sagte …«
Ingolfir winkte ab und kicherte wie ein Kind bei einem Streich. »Das macht mir gar nichts aus. Man wird eben älter, na und? Eine Schönheit war ich sowieso nie, aber dafür bin ich gesund. Ich hab mein gesamtes Leben hier draußen verbracht und immer viel, aber bedächtig gearbeitet, ohne irgendeine von den modernen Stresskrankheiten zu kriegen. Meine Frau … Jónínas Mutter … hielt es auf
Melasól
nicht aus. Sie ging nach Reykjavík, um Karriere zu machen. Dort leitet sie seit Jahren eine Medienagentur. Wenn sie mich anruft, beklagt sie sich über Erschöpfung, Tinnitus und was weiß ich alles. Fast jede Woche ist sie beim Arzt, weil ihr irgendwas fehlt. Sie ist dreiundvierzig! Und sieh mich an: Achtundvierzig ist harmlos.«
»Aber …«, setzte Nadja verdattert an. Sie wusste da etwas von fünfundvierzig.
Nun konnte er sich nicht mehr zurückhalten und lachte schallend. »Hat Jónína dir das gesagt? Sie will nur Rücksicht auf mich nehmen, so gut kennt sie mich eben doch nicht. Die drei Jahre weniger hat Sunna verbreitet, damit nicht auffällt, wie alt sie bereits ist – wir sind nämlich im selben Jahr geboren.« Er zwinkerte. »Ich habe ihr vor langer Zeit weisgemacht, dass ich meinen Geburtstag hasse und das Älterwerden erst recht. Seither veranstaltet sie jedes Jahr dieses Fest, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. Außerdem ist das eine der wenigen Gelegenheiten, wo sie darauf hofft, dass ich
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