Elfenzeit 12: Ragnarök - Schartz, S: Elfenzeit 12: Ragnarök
fahren, das sehe ich ein. Doch am Ende der Brücke sind wir immer noch zwischen den Welten. Wir könnten wenigstens von dort einen Blick hinunterwerfen. Für alles Weitere wärt Ihr nicht verantwortlich.«
»Bedeutet es nicht eine größere Qual für Euch, das Geschehen tatenlos mit anzusehen?«, gab Merlin zu bedenken.
»Die Antwort darauf solltet Ihr doch am besten wissen«, sagte David leise. »Durch Eure Adern fließt Menschenblut.«
»Und besitzt Ihr nicht auch eine Seele?«, fuhr Rian fort.
Merlin war deutlich anzusehen, dass die Zwillinge ihm zu schaffen machten. »Ich kann es nicht tun, versteht das doch!«, rief der Zauberer.
»Nein«, antworteten die Zwillinge im Chor.
Plötzlich trat noch jemand in den Wasserspiegel, lieblich und ätherisch – Melisende, Merlins Tochter. Ihre blauen Augen leuchteten wie Monde durch das magische Netz. Sie ergriff die Hand ihres Vaters.
»Bitte«, sagte sie mit glockenklarer Stimme. »Hilf ihnen, Vater. Ich verdanke ihnen mein Leben, ebenso wie du.«
»Misch dich da nicht ein, Tochter.« Merlins schwankende Stimme machte den strengen Klang, den er in diese Worte zweifellos legen wollte, unmöglich. »Du verstehst ja nicht, was mein Eingreifen bewirken kann.« Qual zerfurchte sein Gesicht, als er den Blick nach oben richtete. »Genug Unheil geschah dadurch bereits in früheren Tagen. Diese beiden hätten … überhaupt nicht in der Lage sein dürfen, Kontakt aufzunehmen.«
»Aber sie haben es getan, Vater«, beharrte Melisende. »Du darfst sie nicht abweisen. Es muss von Bedeutung sein.«
David nutzte den Moment seines Zögerns. »Nur bis zum Ende der Brücke, Herr Merlin, mehr wollen wir nicht! Was dann folgt, liegt nicht mehr in Eurer Hand, wie Rian bereits sagte. Das kann keine Auswirkungen haben, wie Ihr sie befürchtet!«
Merlin senkte den Kopf; ihm war anzusehen, wie schwer er mit sich rang. »Wenn ich es Euch nur begreiflich machen könnte und dir, Tochter«, sagte er düster. »Ihr seht nicht, was ich sehe. Ich trage schon so viel Schuld …«
»Ihr könnt Euch nicht heraushalten«, insistierte Rian leidenschaftlich. »Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem das niemand mehr kann. Ihr seid aus dem Bann erwacht und damit im Geschehen dabei. Trefft eine Entscheidung nach Eurem Herzen, ich bitte Euch!«
Melisende schmiegte sich an ihren Vater. »Nur ein kleiner Gefallen, sonst nichts.«
Der Zauberer seufzte deutlich vernehmbar. »Nun gut. Aber das ist alles, was ich zu tun vermag, Hoheiten!«, machte er deutlich. »Bitte sucht mich nicht noch einmal auf … Zumindest nicht, bis das hier vorüber ist.«
»Ihr habt mein Wort!«, rief David strahlend.
»In Ordnung … Schließt die Augen und zählt bis zwanzig. Öffnet sie keinesfalls zu früh oder zu spät. Alles Gute, und lebt wohl.«
David schloss die Augen und hörte Rian laut zählen: »Eins … zwei …«
Er hatte das Gefühl, als würde er leicht angehoben, und Wind wehte um ihn her. Dann war Rian bei zwanzig angekommen, und sofort öffnete er die Augen.
Sie standen am Ende der Brücke, mitten in den Zweigen Yggdrasils; unter ihnen lag Odins Schloss, und davor breitete sich das Idafeld aus. Es war schwarz von den Heeren Bewaffneter, der Kampf stand kurz bevor.
Zwischen den Heeren und dem Schloss konnten die Geschwister schimmernde Punkte erkennen und wussten, dass es sich dabei um Bandorchu und Fanmór handelte, mit Gefolgschaft. Wahrscheinlich verhandelten sie gerade über die Bedingungen. Wortfetzen drangen zu den Elfenkindern herauf, die nichts Gutes verhießen.
»Bei den Göttern«, stieß Rian hervor. »Was können wir jetzt nur tun, David?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er betroffen. Und er fühlte sich entsetzlich schuldig.
»O Mann, o Mann«, sagte Pirx bibbernd, während sie Fanmór über das Feld folgten. »Das gibt bald ein Gemetzel, nicht wahr? Ich bin zu jung, ich habe das noch nie erlebt. Im Baumschloss war immer Frieden.«
»Ich aber habe es schon mitgemacht«, sagte Grog düster. »Zuletzt vor tausend Jahren, und es war entsetzlich. Wenn wir es nur verhindern könnten …«
Sie waren auf dem Weg an die Spitze des Heeres, das keine hundert Schritte mehr vor dem Portal von Odins Schloss lagerte. Das gegnerische Heer hatte »gleich nebenan« Aufstellung genommen, und die Frage, in welche Richtung zuerst angegriffen würde, hing unausgesprochen in der Luft. Auch die zu Asgard gehörenden Wesen hatten sich postiert, vor dem Schloss und an der Seite, ein weiteres Stück abseits
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