Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs - Kern, C: Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs
nahm die Hand von der Wiege. Sein langes dunkles Haar fiel ihm ins Gesicht. »Doch das ist nicht der Grund, aus dem ich mit dir sprechen will. Es geht um etwas anderes.« Er machte eine Pause. »Um Island.«
Das Wort versetzte ihr einen Stich. So lange hatte sie nicht an David und Rian, nicht an ihre Eltern gedacht. Mit zitternder Stimme fragte sie nach ihnen, und der Riese begann zu erzählen.
Er war kein Mann der großen Worte. Knapp berichtete er von den Zwillingen, die der Getreue kurz vor dem Ende durch ein Portal gestoßen hatte. Sie waren am Leben, auch wenn niemand wusste, wo.
Dann strich er sich das Haar aus dem Gesicht und erzählte von ihren Eltern. Von dem Opfer, das Fabio und Julia gebracht hatten, um Ragnarök zu beenden.
»Sie haben alle Welten gerettet«, sagte er, während Nadja, die Hände vor das Gesicht gelegt, in ihrem Bett saß und weinte. »Überall in der Anderswelt, in jedem Reich, wird seither jeden Tag zur dritten Morgenstunde ein Ehrenlied für sie gesungen. Ein Jahr und einen Tag soll dieses Andenken an sie währen.«
Sie hörte ihn aufstehen, wenngleich sie ihn durch ihre Tränen längst nicht mehr sah. Erinnerungen stiegen in ihr auf, an ihre Eltern, an das, was sie gemeinsam erlebt hatten, und unendliches Bedauern, weil sie nie erfahren würden, wie sehr Nadja sie vermisste. Es hatte keinen Abschied gegeben.
»Du und dein Sohn«, sagte Fanmór. »Ihr werdet hierbleiben. Alle im Baum müssen erst wieder zu sich kommen. Ich will, dass ihr euch hier erholt, bis wir Kontakt zu meinen Kindern hergestellt haben.«
Nadja nickte, ohne seine Worte zu beachten. Sie hörte, wie er die Tür hinter sich schloss.
Die nächsten Tage vergingen schleppend. Nadja unternahm mit Talamh lange Spaziergänge in den Parks rund um das Baumschloss. Immer wieder, scheinbar grundlos, brach sie in Tränen aus. Alles erinnerte sie an Fabio und Julia. Ihre Gedanken kreisten unablässig um sie, verdrängten selbst die Sorge um die Zwillinge und die um Robert und Anne.
Pirx und Grog begleiteten sie, wann sie ihr Zimmer auch verließ. Nadja hatte den Eindruck, dass sie davor warteten, vielleicht sogar in den Gängen schliefen. Zuerst wollten sie von Nadja wissen, wo sie vor ihrer Ankunft in Island gewesen war und was sie dort erlebt hatte. Anschließend berichteten sie von den Vorgängen in Irland und von Alebins und Cagliostros Flucht, jenes Mannes, der einst als Conte del Leon in Venedig residiert hatte und nun als seelenloser Untoter irgendwo sein Unwesen trieb.
Und sie gaben sich alle Mühe, Nadja abzulenken. Sie tanzten um sie herum, machten Witze, brachten ihr kleine Geschenke und taten alles, um sie aufzumuntern und zu trösten. Talamh kreischte jedes Mal vor Begeisterung, wenn er sie sah. Nadja lächelte und tat so, als würde sie lachen. Die Kobolde meinten es gut und kümmerten sich rührend um sie, aber am liebsten wäre sie allein gewesen.
Eines Morgens schließlich – Nadja war sich nicht sicher, wie viele Tage vergangen waren – gelang es ihr und Talamh, ohne die beiden Elfen in den großen Park zu entkommen. Langsam bewegte sie sich auf den Wegen dahin. Die Sonne war warm, aber sie schien Nadjas Gesicht nicht zu berühren. Talamh schlief in seinem hölzernen Kinderwagen und erlaubte es seiner Mutter, ihren Gedanken und ihrer Trauer nachzugehen.
Die Frau, die vor ihr knapp über dem Weg schwebte, sah sie erst im letzten Moment. Eine dunkle, ätherische Erscheinung mit wehenden Schleiern, wie nicht ganz von dieser Welt.
»Morgana?«, fragte Nadja überrascht. Talamh schmatzte.
»Ich sehe deine Seelennot.« Die Königin von Luft und Dunkelheit sank neben Nadja nieder. Ihre Gestalt war beinahe durchsichtig wie die eines Geistes. »Aber dazu besteht kein Grund. Deine Eltern sind zu unsterblichen Legenden geworden. Ihre Körper haben den höchsten Ehrenplatz in Walhall erhalten. Wenige Sterbliche konnten das je in Anspruch nehmen.«
Nadja spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. »Ich vermisse sie als meine Eltern. Meinen Vater, der immer für mich da und mein bester Freund war. Es ist für mich unvorstellbar, dass ich ihn nie mehr wiedersehen soll, nie mehr sein Lachen hören ... Und meine Mutter, die ich nur so kurz kannte ... ein paar Wochen.«
Morgana sah sie gütig an. »Ich weilte lange genug unter den Menschen, um das zu wissen. Aus diesem Grund bin ich hier. Um dir zu helfen und Trost zu spenden.« Sie streckte eine schimmernde blasse Hand aus. »Zum Dank für das Opfer von
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