Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
die Temperaturen inzwischen auf unter zehn Grad gesunken sein mussten, doch jetzt machte sich die Kälte umso deutlicher bemerkbar. Das heiße Gesöff brachte ihr Blut allerdings schnell auf Touren, und ihr Körper wärmte sich von innen auf.
Bevor Nadja ein Wort verstehen konnte, donnerte und schrillte die Musik los und das Hochzeitspaar begann auf der Brücke zu tanzen. Die Zuschauer klatschten begeistert, und so manche Frau seufzte wegen der perfekten Romantik. Bald drehte und wiegte sich der ganze Platz, die Tanzenden drängten sich zwischen den Gaffern hindurch, und dazwischen fanden auch noch die Pinguine einen Durchschlupf, ohne ein Glas zu verlieren. Schnell heizte sich die Stimmung auf, und auch Nadja wurde es immer wärmer. Der Becher war längst leer und auf einem vorübergleitenden Tablett gelandet, da packte sie jemand und fing an, mit ihr zu tanzen.
Der Mann musste um die siebzig sein und war eindeutig kein Hochzeitsgast. Doch er lachte Nadja vergnügt aus halbwegs zahnlosem Mund an und führte sie auf halsbrecherische Weise über den Platz. Zuerst war sie verblüfft, dann hingerissen, was für ein hervorragender Tänzer er war. Einige Gaffer fingen an zu klatschen, als sie sich unter die Menge der Hochzeitsgäste mischten, und bald folgten weitere.
Der ganze Platz tanzte, die Leute sangen zu den italienischen Weisen, und Nadja wurde von Tänzer zu Tänzer weitergereicht. Mal war es ein gestandener Familienvater, mal ein junger Ragazzo, der sie vielleicht ein bisschen fester hielt, als es sich gehörte. Irgendwann ertappte sie sich dabei, dass sie aus voller Kehle mitsang. Venedig verstand es zu feiern, das war keine Legende. Sie war schon halbwegs außer Atem, als ein großer Mann abklatschte, mit bäuerlichem Gesicht und ungebärdigen dunklen Haaren. Sein Körper war athletisch, und Nadja vermutete, dass er Bauarbeiter oder Bauer war; jedenfalls jemand, der sein Geld mit Muskelkraft verdiente. Keiner der künstlich durch Fitness Gestählten, aus ihm strahlte pure Lebenskraft. Er grinste sie breit an, und seine blauen Augen blitzten, als er den Arm um sie legte und mit ihr davonschwebte.
Bisher hatte Nadja noch kein einziges Wort mit ihren wechselnden Galanen gewechselt, es war nicht notwendig gewesen. Auch dieser Mann sprach nicht, sondern näherte seinen Mund ihrem Ohr und sang leise in klarem Bariton zur Melodie. Er drückte sie ungebührlich nah an sich, doch es gefiel ihr, seinen straffen, festen Körper an sich zu spüren.
Warum nicht
, dachte sie,
es ist doch wie Karneval. Einfach nur den Augenblick genießen und dann weitergehen, so hat Byron es mir geraten
. Sie spürte, wie Hitze in ihr aufstieg, was nicht nur vom Punsch herrührte. Die große Hand des Mannes strich über ihren Rücken und wärmte ihn, und einen irrationalen Moment lang glaubte sie, er würde sie küssen, und fühlte schon die Berührung seiner Lippen.
Doch es war noch nicht soweit. Ein Jüngling störte die Phantasie, als er abklatschen wollte. Nadjas Tänzer packte die Hand des jungen Mannes, schob sie weg, wie man eine lästige Fliege abschüttelte, und drehte sich weiter mit ihr im Kreis. Der Jüngling lief ihnen nach und beschimpfte Nadjas Galan, doch da war das Stück zu Ende, die Musik legte eine Pause ein und sie hielten an. Der Mann behielt seine Arme für einen Moment noch um Nadja, und sie blickte verwirrt hoch in seine Augen.
»Kennen wir uns?«, flüsterte sie.
»Wir kennen uns alle«, antwortete er lächelnd. Dann ließ er sie los und verschwand in der Menge.
Nach diesem Tanz war es wieder Zeit für eine Rede; der Vater der Braut war an der Reihe, doch er fasste sich angenehm kurz. Nadja fuhr zusammen, als im Anschluss oben auf der Brücke ein Feuerwerk entzündet wurde und den Himmel mit Sternen, Kometen, Sonnen und Feuerbällen zur Leinwand einer rasch vergänglichen Kunst erkor. Nadja stand mitten in der Menge und begleitete die Explosionen mit denselben begeisterten Ahs und Ohs wie alle anderen. Beifall und Pfiffe brachen los, als zuletzt zwei ineinander verschlungene Ringe in den Himmel gezaubert wurden. Die Musik setzte wieder ein und das vergnügte Treiben ging nahtlos weiter. Ein zweiter Becher landete unaufgefordert in Nadjas Hand, und sie machte sich langsam auf den Weg über die Brücke. Sie fühlte sich jetzt wieder besser und stark genug, ihrem Vater gegenüber zu treten.
Nichts war so schlimm, wie es im ersten Moment erschien. Alles konnte bewältigt werden. Erst recht nach dem zweiten
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