Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Becher Punsch.
Unterwegs sah sie, dass einige Menschen jemanden umringten, der am Boden lag; vermutlich ein Alkoholgeschädigter, wie es im Laufe dieses Festes noch weitere geben würde. Ihm wurde bereits geholfen, jemand kniete bei ihm und richtete ihn vorsichtig auf. Flüchtig glaubte Nadja, den zeternden Jüngling von zuvor zu erkennen, der mit glasigen Augen und einem halb offenem Mund, aus dem Speichel rann, im Arm des Helfers hing.
»Nadja!«
Zuerst hörte sie nicht hin, weil sie annahm, dass eine andere Frau gemeint war.
»Nadja Oreso!«
Verdutzt sah sie sich um, und da sah sie Giorgio auf sich zukommen, mit Kamera und Blitz bewaffnet. »Na so etwas, da begegnen wir uns gleich noch einmal am selben Tag!«, rief er fröhlich. »Willst du etwa in deinem deutschen Magazin hierüber berichten?«
»Offen gestanden, bin ich auf dem Heimweg und hier irgendwie reingestolpert«, antwortete sie.
»Ich habe auch erst sehr spät davon erfahren. Weißt du, diese reichen stronzi halten sich gern bedeckt, um dann umso wirkungsvoller aufzutreten.« Giorgio brachte Kamera und Blitz in Position. »Lächle mich an, los!«
»Auf keinen Fall!«, wehrte sie ab. »Ich sehe furchtbar aus, und …«
Da war es schon passiert, und ein paar Sekunden lang war sie völlig blind. »Giorgio, du vernichtest das Foto oder ich mache Kleinholz aus deinem Apparat!«, rief sie aufgebracht.
»Bah, du bist immer schön, Nadja«, sagte er versöhnlich. Dann musterte er sie prüfend aus der Nähe und wurde ernst. »Aber du hast ja wirklich geweint. Was ist passiert?«
Nadjas Augen wurden augenblicklich wieder feucht. Die neu gewonnene Stärke hatte nicht allzu lange gehalten. »Ich bin auf der Suche nach einem Freund und mache mir große Sorgen.«
»Der Freund, von dem du heute Mittag gesprochen hast?«
»Ja.«
»Pass auf, Nadja. Hör auf zu weinen, heute Abend kannst du ohnehin nichts mehr machen. Treffen wir uns morgen in der Redaktion, dann werde ich dir helfen. Versprochen! Wirst du da sein?«
Nadja nickte, dankbar für das Angebot. »Um elf?«
»Nein, um zehn, das ist besser. Oder um neun, ich muss ja noch den Bericht schreiben. Das hier wird noch länger dauern, da warten ein paar Interviews. Also um neun, cara, va bene? Alles wird gut. Das ist Venedig, wo alles möglich ist.« Giorgio strahlte sie an und kniff ihr liebevoll in die Wange. »A domani, Nadja. Geh schlafen, du siehst furchtbar aus.«
»Danke«, sagte sie lächelnd und wusste, dass sie einen Freund gewonnen hatte. Niemand hätte es sonst gewagt, ihr das so offen und ehrlich ins Gesicht zu sagen. Sie wandte sich zum Gehen, dann hob sie noch einmal den Finger. »Das Foto …«
»Geht klar, ich setze es auf die Titelseite!« Er winkte und hob den Daumen. Dann verschwand er in der Menge.
Die letzten paar hundert Meter trugen ihre Füße sie kaum noch. Bestimmt hatte sie sich Blasen gelaufen. Morgen würde sie Turnschuhe tragen, genau wie Giorgio, und weite Stretch-Jeans, einen fünf Zentimeter dicken Wollpullover und eine zehn Zentimeter dicke Daunenjacke, mindestens. Sie schlotterte am ganzen Leib vor Kälte. Es wurde unangenehm feucht, als der Nebel aus den Häuserschatten kroch und von den Kanälen aufstieg. Der Himmel hatte sich vollständig bezogen.
Nadja war fast soweit, die Schuhe auszuziehen, aber wahrscheinlich wären ihre Füße zu Eisklötzen gefroren, bis sie ins Haus kam. Also noch ein bisschen durchhalten, es war ja nicht mehr weit.
Ein dunkler Fleck lag auf dem oberen Treppenabsatz. Als Nadja ächzend und stöhnend heranhumpelte, kam Bewegung in ihn. »Miau?« Der Kater blinzelte sie verschlafen an, gähnte und streckte sich. Dann strich er schnurrend um ihre Beine.
»Was machst du denn noch hier?«, wisperte Nadja. »Das Haus bewachen?«
»Mrrrmaoo.«
»Verstehe.«
»Maunz?«
»Du willst rein? Willst du mir ernsthaft weismachen, dass ein hübscher Kerl wie du kein Zuhause hat?«
Der Kater schüttelte sich. Dann schnurrte er weiter.
Nadja hatte keine Lust mehr auf eine Diskussion mit einem Kater, für den es sowieso schon beschlossene Sache war, ins Haus zu kommen. Es ging inzwischen auf Mitternacht zu, sie war hundemüde, und ihr tat alles weh. Wenn sie um neun Uhr in der Redaktion sein wollte, brauchte sie wenigstens ein bisschen Erholung. Vor allem aber ein heißes Bad – vorausgesetzt, es gab aufgeheiztes Wasser.
»Also gut«, wisperte sie, während sie die Tasche nach ihrem Schlüssel durchkramte. »Du darfst rein, aber nur diese eine
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