Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Ich lasse auch dich nicht los, niemals.« Trotzdem öffnete er seine Arme und gab sie frei.
Nadja ging zwei Schritte zurück und wischte sich mit bebender Hand die nassen Wangen ab. »Aber damit ist es nicht genug. Ich weiß immer noch nicht alles, nicht wahr?«
Fabio neigte langsam den Kopf.
»Scheißkerl!«, stieß sie trocken schluchzend hervor. »Geh zur Hölle.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Da bin ich doch schon«, sagte er.
Sie verharrte kurz, die Hand auf der Klinke. »Und ich? Habe
ich
denn wenigstens eine Wahl? Bin ich Elfe oder Mensch? Was bin ich überhaupt – ein bisschen deutsch, ein bisschen italienisch, ein bisschen elfisch? Für welches Drittel soll ich mich entscheiden?«
»Du bist ein Mensch«, antwortete Fabio bestimmt. »Du hast eine Seele, weil auch ich eine besitze.«
»Bleiben immer noch zwei Drittel.«
»Du bist ein Mensch«, wiederholte ihr Vater leise.
Nadja machte eine heftige, ablehnende Geste und verließ sein Zimmer.
Zwischenspiel
Das Gesicht
»Ich weiß, wer ich bin«, flüsterte der Gefangene. Die Ketten hatten ihn wieder zu Boden gezwungen, und die Lebenskraft rann weiter aus ihm. Bald würde er zu schwach sein, um sich aufzusetzen. Aber er hatte sich gefunden. Immer wieder sagte er seinen Namen laut, um ihn nicht erneut zu vergessen.
»Dafydd, Prinz der Sidhe Crain.«
Und er war nicht allein. Da war Rhiannon, die Schwester, deren Herzschlag stets neben dem seinen gewesen war. Nie waren sie getrennt gewesen, doch jetzt schien das Band zerrissen. Rhiannon war draußen, in der Welt der Lebenden, weit entfernt von der lichtlosen Schwelle des Todes.
»Vater, vergib mir«, flüsterte Dafydd hilflos. »Ich habe versagt.« Es war ihm nie gelungen, die Achtung des strengen Herrschers zu erringen. Fanmór war zu groß, zu weit entfernt von allem. Und doch … ließ er es zu, was mit seinem Sohn geschah. Oder wusste er es nicht? Schwanden seine Kräfte dahin?
Für mich gibt es keine Hoffnung mehr
.
Dafydd rollte sich auf dem kalten Boden zusammen und weinte leise.
Es soll aufhören
, flehte er in Gedanken.
Macht dem ein Ende. Keinen Feind würde ich so lange und grausam leiden lassen. Warum tut ihr mir das an? Womit habe ich das verdient?
Sein Körper zitterte, und er verlor fast das Bewusstsein, als die Schwäche ihn übermannte. Einen Augenblick lang glaubte er, ein Portal sich öffnen zu sehen, hin zu einem Land, das grau war, doch nicht finster. Es war fast vorbei.
Doch dann … floss wieder etwas in ihn zurück, das ihn aufweckte und das zarte Licht löschte. Verzweiflung wandelte sich zu Wut, und Dafydd schlug mit der Faust auf den Boden. »Nein!«, rief er unter Tränen. »Das ist ungerecht! Lasst mich gehen! Lasst mich endlich gehen!«
Der Sog setzte wieder ein, die Kraft, die er gewonnen hatte, floss bereits aus ihm. Langsam und stetig, Tropfen für Tropfen. Stets so gezügelt, dass er die Schwelle nicht überschritt.
Dafydd schrie und tobte, bis er wieder zusammenbrach. »Hilf mir …«, wimmerte er. Ein weiteres Bild der Erinnerung stieg in ihm empor, ein Gesicht. Zuerst verschwommen, wurde es bald deutlicher. Eine Frau, mit strahlenden bernsteinfarbenen Augen und kastanienbraunen Haaren und weichen, roten Lippen, die ihn anlachten. Eine Blüte im Herbst, der ein Feind war für die Elfen, doch durch sie an Schrecken verlor. Er glaubte, ihre Stimme zu hören, so klar und rein wie ein sonniger Oktobertag.
»Nadja«, wisperte er, und weitere Tränen rollten über seine Wangen. »Ich erinnere mich an dich, denn du trägst einen Teil von mir, das Cairdeas. Wenn es vertrocknet und zu Staub zerfällt, wirst du wissen, dass ich tot bin. Es dauert nicht mehr lange, Nadja …«
Er klammerte sich an das Bild als letzte Hoffnung, als etwas Schönes, das durch nichts zerstört werden konnte und das er mit sich nehmen wollte. Dafydd war bereit, auf alle Erinnerungen zu verzichten, wenn er nur dieses Bild behalten durfte.
Langsam sank sein Kopf auf den Boden nieder. »Nadja«, flüsterte er ein letztes Mal.
7 Der Goldmacher
Das Wasser war heiß, aber es konnte Nadja nicht aufwärmen. Schlotternd lag sie in der Wanne. Immer wieder berührte sie das Cairdeas von David. Warum gab es kein Zeichen von sich, irgendein Jucken oder Brennen? Warum zog es sich nicht enger um ihr Handgelenk? Es war immerhin dafür gedacht, dass man jederzeit wusste, wenn einer der Elfen in Not oder Gefahr war. Und bei David musste das der Fall sein, sonst hätte er sich längst gemeldet. Auch Byron
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