Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
konnte Nadja nicht mehr aussteigen. Sie war verpflichtet.
Ausgerechnet ich
, dachte sie wehmütig. Fast böse sah sie ihren Vater an, der den Alfa ruhig über die Autobahn steuerte. Sein Blick war konzentriert, die Haltung aber völlig entspannt. Fabio Oreso hatte ihr beigebracht, das Leben nicht zu schwer zu nehmen. Mit nur einem Elternteil aufzuwachsen, war nicht einfach. Nun aber zufällig, geradezu nebenbei zu erfahren, dass Nadjas verstorbene Mutter venezianische Wurzeln hatte, war schon ein ziemlich starkes Stück. Fabio weigerte sich seit jeher, über Nadjas Mutter zu reden. Das hatte schon soweit geführt, dass Nadja einmal ein halbes Jahr nicht mit ihm gesprochen hatte. Kurz nach dem Abitur, bevor sie die Journalistenausbildung angefangen hatte.
Den Vater hatte das schwer getroffen, und sie wusste, dass er sehr gelitten hatte. Aber trotzdem hatte er weiterhin geschwiegen.
Warum?
Das war die häufigste aller Fragen, und Nadja hasste sie mehr als alles andere auf der Welt, wenn sie sie selbst betraf. Die Journalistin liebte ihren Vater, aber seine Geheimniskrämerei würde sie ihm nie verzeihen. Sie blieb ein ewiger Streitpunkt zwischen ihnen, und Nadja würde ihr ganzes Leben lang keine Nachsicht üben. Nicht in diesem Fall.
Klapperklonkklack
.
»Papa!«, sagte Nadja scharf und funkelte den Vater an.
»Ist ja gut«, meinte er gutmütig. »In fünf Kilometern kommt eine Raststätte, siehst du das Schild? Dort machen wir eine Pause, und ich lasse den Wagen anschauen.«
»Pause?«, erklang Rians klare Stimme von hinten begeistert. »O ja, ich will einen Espresso!«
»Und ich möchte Orangensaft, frisch gepresst!«, krähte Pirx und weckte Grog durch sein Zappeln. »Una spremuta, per favore!«
»Ihr kennt euch ja gut aus«, murmelte Nadja.
»Hat Fabio uns beigebracht!«, erklärte Pirx stolz. »Und Grog wusste auch einiges!«
Nadja biss sich auf die Unterlippe und blickte starr geradeaus. Sie fühlte sich nicht zum ersten Mal ausgeschlossen. Fabio und die Elfen verstanden sich prächtig. Nadja war nicht immer dabei, wenn sie scherzten und lachten, und den Crashkurs »Leben auf italienisch« hatte sie auch verpasst.
»Alles in Ordnung, Nadja?«, fragte Fabio.
»Sicher.« Nadja spielte mit ihrem Handy. »Ich werde Robert anrufen, wenn wir Pause machen.«
»Du solltest dir nicht zu viele Sorgen um ihn machen.«
»Ich weiß. Aber wir arbeiten schon so lange zusammen, verbringen fast jeden Tag miteinander. So kenne ich ihn einfach nicht.«
Peter Halmstedt, der Redakteur ihres gemeinsamen Magazins, war nicht begeistert gewesen, als Nadja und Robert ihn bei einem persönlichen Termin um eine vierwöchige Auszeit gebeten hatten. Aber als Nadja versprach, einen kleinen Artikel mit eigenen Fotos über Venedig zu machen, und Robert etwas über die Pubkultur in York ankündigte – nach den schrecklichen Vorfällen des fünften November -, und das alles auf eigene Spesen, gab er schließlich nach.
Nadja war fast ein wenig enttäuscht gewesen. Mit einer Ablehnung hätte der Redakteur ihr die Verantwortung für die Elfen nämlich abnehmen können. Ein Job ging nun einmal vor. Anders als Elfen mussten Menschen ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit bestreiten. Dafür hätten die Elfen Verständnis zeigen müssen, Nadja hätte sich elegant abgeseilt und wäre zu ihrem normalen Leben zurückgekehrt.
Völliger Blödsinn, was du dir einzureden versuchst
, dachte Nadja, und schüttelte innerlich den Kopf.
Sie sind doch schon deine Freunde. Du würdest David nie im Stich lassen. Und Fabio hätte sich sowieso nicht mehr davon abbringen lassen, mit den dreien nach Venedig zu fahren. Schließlich haben wir dort eine Villa. Oder ein Haus auf Stelzen, was auch immer
.
Schon gut. Sie hatte ja nur einen winzigen Augenblick lang über eine kleine Alternative nachgedacht. Das musste doch auch sich selbst gegenüber erlaubt sein, oder?
»Ich kann deine Gedanken hören!« Pirx kicherte hinter ihr. »
Ping-Pong-Ping-Pong-Klingeling
.«
»Quatsch«, knurrte Nadja ertappt. Elfen konnten nicht Gedanken lesen. Oder?
»Rattert wie eine ausgeleierte Gebetsmühle«, äußerte der alte Grogoch. »Steine prasseln wie eine Lawine herab.«
Fabio setzte derweil den Blinker und bog bald darauf in die Ausfahrt zur Raststätte ab. Nadja atmete erleichtert auf. Als der Wagen vor der Tankstelle hielt, drehte sie sich um. »Kann ich ein paar Augenblicke ohne euch Nervensägen verbringen? Ich wäre äußerst dankbar, einfach frische Luft
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