Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Nadja ließ sich den verlockenden Duft um ihre Nase wehen, als sie eintrat. Drei Italiener hielten sich hier auf, lebhaft und gestenreich in eine Diskussion vertieft. Rian und Fabio standen an der anderen Seite der Theke und unterhielten sich ebenfalls angeregt, was Nadja wiederum einen kleinen Stich versetzte.
Die beiden wirkten im Umgang miteinander sehr vertraut, als würden sie sich lange kennen. Kleine Gesten verrieten es; die Art, wie Fabio flüchtig Rians Arm berührte, und ihre Kopfhaltung, ihm leicht zugeneigt. So unterhielten sich keine Leute, die sich gerade ein paar Tage kannten und zwei verschiedenen Welten und Altersgruppen entstammten. Körpersprache log nicht, nicht einmal die von Elfen. Nadja hatte gelernt, sehr genau darauf zu achten, wenn sie jemanden interviewte, um Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Vielleicht war sie zu empfindlich und reagierte übertrieben. Im Grunde ging es sie auch nichts an. Aber sie war ihrem Beruf zu sehr verhaftet, um einfach darüber hinweggehen zu können. Ihr Spürsinn sagte ihr, dass da ein Geheimnis lag, das gelüftet werden musste. Und,
ja
, sie war eifersüchtig.
Etwas abseits der Kaffeetheke, bei den Regalen mit den Ladenhütern, stand Pirx unbeobachtet hinter einer Säule und schlürfte seinen frisch gepressten Orangensaft aus einem Pappbecher. Grog stand neben ihm und verspeiste ein Brioche, die leckere italienische Variante des Butterhörnchens. Unwillkürlich war Nadja gerührt.
Der Spaziergang und die kleine Unterhaltung mit einem sympathischen Fremden hatte ihren Verstand gelüftet und sie versöhnlicher gestimmt. Herzliche Zuneigung zu den beiden haarigen Koboldwesen stieg in ihr auf.
Der alte Grogoch mit seinem freundlichen Kartoffelgesicht, und der pfiffige kleine Igel mit der roten Mütze und den lebhaften Knopfaugen waren etwas Besonderes. Am liebsten hätte Nadja sie auf der Stelle gepackt und geknuddelt, was die beiden vermutlich ziemlich erschreckt hätte. Und die restlichen Besucher der Raststätte hätten sich gefragt, warum die im Grunde normal aussehende Frau Luft umarmte.
Ganz selbstverständlich drängelte sich Nadja zwischen Fabio und Rian und bestellte sich einen Espresso. »Alles erledigt?«, fragte sie und blickte ihren Vater an.
Fabio nickte. »Eine Aufhängung am Auspuff war abgerissen, aber es ist schon repariert.«
»Wie kann das passieren? Auf der Autobahn gibt es keine tiefen Schlaglöcher, wo man hängen bleibt.«
»Vielleicht war sie schon länger locker. Alles andere ist in Ordnung, du brauchst dir also keine Gedanken zu machen. Keine Bremsschläuche beschädigt, die Lenkung ist unversehrt, und getankt habe ich auch.«
»Dann hat er vielleicht unsere Spur noch nicht aufgenommen«, murmelte Nadja.
»Von wem sprichst du?«, wollte Rian wissen.
»Dem Getreuen.« Gegen ihren Willen zischte Nadja. »Er ist überall und immer auf unserer Spur! Wir dürfen ihn nicht unterschätzen. Ich habe gesehen, wie er gegen Alberich gekämpft hat. Und deiner Erzählung nach ist der alte Nibelunge kaum zu vernichten. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der es mit dem vermummten Kerl aufnehmen kann.«
»Es gibt immer jemanden«, behauptete Fabio mit beruhigender Stimme.
In Nadjas bernsteinfarbene Augen trat ein böser Funke. »Für ihn nicht«, erwiderte sie.
»Was macht dich so sicher?«, fragte Rian.
»Ich weiß es eben.« Und genau das beunruhigte Nadja zutiefst. Sie
wusste
es wirklich, tief in ihrem Inneren, ohne es erklären zu können. Der Getreue war mehr als ein Elf. Ein uraltes Wesen. Möglicherweise hatte er Nadja dieses Gefühl selbst eingegeben, um ihr Angst einzujagen. Auf alle Fälle hatte er damit Erfolg. Nadja konnte sich nur mit Mühe beherrschen, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen, wenn sie an den Getreuen dachte. Diese furchtbare Kälte, die mit der Erscheinung des Verhüllten einherging, die alles Leben auslöschte. Nackt in der Arktis ausgesetzt zu werden, konnte nicht schrecklicher sein. Wahrscheinlich kam nicht einmal der absolute Nullpunkt dem nahe. Oder die Kälte des Alls.
Leise fügte sie hinzu: »Vielleicht ist er der Ursprung der Legende vom Schwarzen Mann. Würde mich nicht wundern.«
Der Getreue saugte alles aus einem heraus, Lebenswillen, Freude und Kraft.
»Lass dich nicht zu sehr davon beherrschen«, mahnte Rian. »Genau damit arbeiten die Dunklen: Sie rufen sich dir ständig in Erinnerung, damit du dich niemals sicher fühlst.«
Und genau das werde ich nicht zulassen
, dachte Nadja,
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