Elfenzorn
»Kukulkan weiß, was er tut. In ein paar Stunden kriegst du deinen Freund zurück. In einem Stück und vollkommen unbeschädigt, mein Wort darauf.« Sie grinste. »Wenn du willst, rede ich mit dem alten Knacker, und er nimmt noch ein paar Verbesserungen an ihm vor.«
Pia machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten, sondern bedeutete Eirann nur mit einem stummen Blick, vorauszugehen, und der hünenhafte Krieger wandte sich um und bahnte ihnen mit seinen breiten Schultern einen Weg durch die Menschenmenge. Alica und zwei weitere groß gewachsene Gestalten in mattschwarzem Eisen schlossen sich ihnen an, und der Anblick ließ Pia nicht nur an die schrecklichen Augenblicke auf dem Dach zurückdenken, sondern weckte auch ihr schlechtes Gewissen. Alica hatte ihr gesagt, dass auch der zweite Schattenelb den Kampf mit dem Ungeheuer nicht überlebt hatte, und ihr Verstand konnte ihr hundertmal erklären, dass es nicht ihre Schuld war – sie fühlte sich schuldig, und das mit jedem Moment mehr.
Sie hatte erwartet, dass Eirann sie wieder zu Alicas Haus im Schatten der Pyramide zurückbringen würde, doch stattdessen steuerte er ein niedriges, aber sehr großes Gebäude auf der anderen Seite des Platzes an. Eine doppelt gestaffelte Reihe gepanzerter Elbenkrieger, deren grimmige Blicke selbst durch das schwarze Eisen ihrer Helme hindurch noch zu spüren waren, hielt davor Wache, und dahinter gewahrte sie eine noch größere Anzahl zwar nicht gepanzerter, dafür aber bis an die Zähne bewaffneter Mayakrieger. Wahrscheinlich gab es dieses Wort hier nicht einmal, aber das änderte nichts daran, dass in dieser Stadt wohl so etwas wie Ausnahmezustand herrschte.
Die lebende Mauer teilte sich vor ihnen, und auch die Maya gingen respektvoll auseinander, um Pia und ihre Begleiter passieren zu lassen. Erst danach erkannte sie, wohin Eirann siegebracht hatte. In der Welt, die sie bisher für die einzig reale Wirklichkeit gehalten hatte, war dieses Bauwerk als Ballspielplatz bekannt (auf dem allerdings eine etwas andere Version des bei ihnen beliebten Fußballs gespielt worden war: Der Ball wurde mit der Hüfte durch einen steinernen Ring gekickt, und nach Ende des Spieles folgten ihm die abgeschnittenen Köpfe der Verlierermannschaft), hier aber schien er einem gänzlich anderen Zweck zu dienen. Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, doch sie hörte ein gedämpftes Durcheinander sonderbarer Knurr- und Zischlaute, und etwas wie ein schwacher Raubtiergeruch schlug ihr entgegen. Große Körper bewegten sich in der Dunkelheit, und sie glaubte das Scharren von Schuppen und das Kratzen von eisenharten Klauen auf Stein zu hören.
»Trexe?«, fragte sie.
»Das hier sind die Stallungen«, bestätigte Alica. »Aber es ist zugleich auch der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Deshalb hat Eirann sie hierherbringen lassen.«
»Sie?«
Statt zu antworten, gab Alica einem der Elbenkrieger einen Wink, und er eilte voraus und öffnete eine Tür, die zwar so niedrig war, dass er sich ducken musste, um hindurchzugehen, aber auch so schwer, dass selbst er beide Hände brauchte. Pia registrierte beiläufig, dass die Tür nicht aus Holz oder Metall bestand, sondern aus einer massiven Steinplatte, die mindestens dreißig Zentimeter dick war und sich auf ebenfalls steinernen Angeln drehte. Was hielten sie normalerweise hier gefangen? Drachen?
Der Raum, in den sie gelangten, war ebenso weitläufig wie hoch und von Dutzenden Fackeln schon fast taghell erleuchtet, deren Qualm durch unsichtbar in der Decke angebrachte Lüftungsschlitze abzog. Anders als überall sonst in der Stadt waren die Wände hier nicht mit Bildern oder martialischen Reliefs übersät, sondern bestanden aus glatten Quadern aus schwarzem Stein, von denen selbst die kleinsten Tonnen wiegen mussten. Schwere eiserne Ringe waren in die Wände eingelassen. Auf demBoden lag Stroh, aber darunter waren frische Kratzspuren von beunruhigender Tiefe zu erkennen.
Alica deutete auf eine Gruppe von Kriegern – Elben und Maya (nannte man sie hier eigentlich so?), aber auch eine Anzahl gerüsteter Männer, die einem ihr bisher nicht bekannten Volk angehörten – und ging voraus. Auch Pia setzte dazu an, ihre Schritte zu beschleunigen, ging aber ganz im Gegenteil plötzlich langsamer und wäre fast ganz stehen geblieben, als sie die drei grau gesichtigen Schemen erblickte, die zwischen den Kriegern standen. Wieder meldete sich ihr Verstand zu Wort, und wieder brachte sie ihn mit einer
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