Elfenzorn
Kräfte noch bitter nötig hast. Oder hast du schon vergessen, was heute passiert ist.«
»Und du glaubst diesen Unsinn?«, fragte Pia empört.
»Du anscheinend nicht«, seufzte Alica. »Aber es ist kein Unsinn, glaub mir. Ich habe hier Dinge gesehen, die du nicht einmal glauben würdest, wenn du sie sehen könntest! Mach dir keine Sorgen. Wenn Ixchel sagt, dass sie ihn retten kann, dann kann sie es auch. Sie ist die beste Heilerin, der ich je begegnet bin. Die Leute hier glauben, sie hätte Zauberkräfte, und ich bin geneigt, ihnen zuglauben.«
»Ixchel?«
»Isabel«, antwortete Alica mit einem flüchtigen Lächeln. »Eigentlich heißt sie Ixchel. Aber ich hatte keine Lust, mir jedes Mal einen Knoten in die Zunge zu machen, wenn ich mit ihr spreche. Ich vertraue ihr, und Kukulkan tut es offensichtlich auch.«
»Weil er ja immer ganz sicher ist, was er tut und sagt, wie?«, schnaubte Pia.
»Er weiß, was er tut«, beharrte Alica. »Und er ist ein sehr mächtiger Mann hier in der Stadt. Du solltest dich besser nicht mit ihm anlegen.«
Pia hatte nicht übel Lust, an ihr vorbeizustürmen und ganz genau das zu tun, und vielleicht war der einzige Grund, aus dem sie darauf verzichtete der, dass sie sich an heute Morgen erinnerte; und daran, wie erstaunlich gut sich Jesus nach nur drei Tagen in der Obhut des Schamanen und seiner Begleiterin erholt hatte.
»Dann sag mir wenigstens, was ihm fehlt.«
»Bin ich Ärztin?«, gab Alica beinahe patzig zurück, zuckteaber dann trotzdem die Achseln und machte ein besorgt-nachdenkliches Gesicht. »Seine Wunde ist wieder aufgebrochen, und es hat ein paar von seinen Rippen erwischt, mehr weiß ich nicht. Aber jetzt mach dich nicht verrückt. Wenn Kukulkan sagt, dass er überleben wird, dann wird er auch überleben. Wie ich die alte Hakennase kenne, ist es hinterher besser als zuvor.«
Der Schattenelb kam zurück, begleitet von einer weiteren groß gewachsenen Gestalt in Schwarz, die Pia erst auf den zweiten Blick als Eirann erkannte, und vier kaum kindergroßen Männern mit sonnengebräunten nackten Oberkörpern und großen Nasen. Als sie Pia sahen, senkten sie so demütig die Köpfe, dass sie fast über ihre eigenen Füße gestolpert wären. Hintereinander verschwanden sie durch den Perlenvorhang, und diesmal musste Alica sie an der Schulter festhalten, damit sie ihnen nicht folgte.
»Sei vernünftig«, sagte Alica.
Pia streifte ihre Hand mit einer zornigen Bewegung ab, und auch Eirann vertrat ihr nun mit einem raschen Schritt den Weg.
»Ich bitte Euch, hört auf sie, Erhabene«, sagte er. »Sie spricht die Wahrheit. Die Magie dieses Ortes ist mächtig. Sie wird Euren Gefährten heilen.«
»Starkes Mojo, wie?«, fauchte Pia. Erst dann ging ihr auf, was der Schattenelb gerade gesagt hatte.
»Meinen was?«
»Euren Freund, Erhabene«, antwortete Eirann mit vollkommen undeutbarer Miene. »Verzeiht.«
Pia versuchte – vergeblich – ihn niederzustarren und wandte sich dann mit derselben Absicht zu Alica um, doch in diesem Moment wurde der Vorhang mit einem hölzernen Rasseln beiseitegeschlagen, und Kukulkan und Ixchel kamen herein, der Alkalde ohne Wanderstab, dafür aber mit einem noch viel gewaltigeren Federschmuck auf dem Kopf, seine Begleiterin jetzt vollkommen barhäuptig, sodass Pia erkennen konnte, dass sie tatsächlich kein einziges Haar auf dem Kopf hatte, dafür aber noch immer mit verhülltem Gesicht. Kukulkan sah ebensoerschöpft und müde aus wie Alica gerade, und auch seine Hände waren blutig. In seinem Blick lag sehr wenig Ehrerbietung, fand Pia, dafür aber ein Ausdruck von ehrlichem Mitgefühl.
Er sagte kein Wort, sondern nickte ihr nur schweigend zu, während er und Ixchel beiseitetraten, um den vier Indios Platz zu machen, die hinter ihm hereinkamen. Sie trugen eine Bahre zwischen sich, auf der ein sehr bleicher und offensichtlich bewusstloser Jesus lag.
Pia fuhr erschrocken zusammen, als sie in sein blasses Gesicht sah. Ebenso gut hätte er auch tot sein können. Wenn er noch atmete, dann so flach, dass sie es nicht sehen konnte. Instinktiv wollte sie ihn berühren, doch Kukulkan legte ihr rasch seine faltige, schmale Hand auf den Unterarm und schüttelte den Kopf. Sein Federschmuck raschelte.
»Bitte fasst ihn nicht an, Prinzessin«, sagte er. Prinzessin, nicht Erhabene. »Er wird wieder gesund, habt keine Furcht. Die Große Schlange wird ihn retten.«
»Wie geht es ihm?«, fragte Pia, indem sie sich losriss; wenn auch nicht annähernd so heftig
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