Elfenzorn
eine ganze Menge, von der sie ihr noch gar nichts erzählt hatte), aber Alica war auch ihre beste – und einzige – Freundin, und die Monate in WeißWald hatten sie mehr zusammengeschweißt, als ihr bisher selbst bewusst gewesen war. Es war nicht ihre Art, ihre Launen an ihren Freunden auszulassen, basta.
Alica versetzte ihr einen freundschaftlichen Rippenstoß, der vermutlich nicht zufällig ein bisschen derber als nötig ausfiel, und drehte sich dann halb herum, um einen der Schattenelben herbeizuwinken, die auch hier vor der Tür Wache hielten. Sie wechselte nur einige wenige Worte mit ihm, woraufhin der Krieger auf dem Absatz herumfuhr und in der Menge verschwand. Oder es wenigstens versuchte. Ganz gelang es ihm nicht, weil er die meisten hier um einen knappen Meter überragte.
»Wie viele von ihnen ... sind hier?«, fragte Pia.
Alica betrachtete sie mit einem nachdenklichen Blick, als versuchte sie dem unmerklichen Zögern in ihren Worten eine Bedeutung beizumessen. »Viel zu wenige«, antwortete sie leise. »Vielleicht fünfzig oder ein paar weniger. Am Anfang waren es mehr, aber einige sind tot, und andere sind weggegangen.«
»Weggegangen?«, wiederholte Pia beunruhigt.
»Keine Sorge«, sagte Alica rasch. »Es sind Elben. Diesen Leuten gilt ihre Ehre mehr als ihr Leben. Sie haben sich entschieden, sich unserer Sache nicht anzuschließen, aber sie würden uns niemals verraten. Und nicht einmal der Hochkönig in Elfenborg würde es von ihnen verlangen. Diese Elben sind ein bemerkenswertes Volk mit einem noch bemerkenswerteren Ehrenkodex.«
Pia wäre spontan ein anderes Wort dafür eingefallen, aber sie sah Alica nur weiter fragend an.
»Es ist kompliziert«, sagte Alica.
»Das hast du schon ein paarmal gesagt«, antwortete Pia. »Aber die Sache mit den Elben scheint ja sehr simpel zu sein. Die haben ihren Ehrenkodex, und gut ist.« Sie legte den Kopf schief. »Sind die so eine Art Samurai, oder wie soll ich das verstehen?«
»Ganz genau.« Alica zögerte kurz, bis sie eine Gegenfrage stellte: »Die Samurai sind doch Angehörige einer speziellen Kriegerkaste, die mit ganz scharfen Schwertern herumfuchteln, oder?«
Pia nickte knapp. »Und nicht nur das. Die Typen rammen sich lieber eines ihrer superscharfen Schwerter in den Bauch, als ihre Sache zu verraten.«
Alica überlegte kurz und nickte dann. »Ja, das könnte passen. Auch zu allem anderen, was ich von den Elben weiß. Sie handeln nicht immer gerade so, wie du oder ich das tun würde.«
»Was ja nicht unbedingt ein Nachteil sein muss.« Pia winkte ab, als Alica etwas dazu sagen wollte. »Aber ich weiß, was du meinst. Die Elben sind für uns so wenig zu verstehen wie ein Samurai für einen durschnittlichen Favelas-Bewohner. Aber das führt uns jetzt nicht weiter. Kannst du mir nicht so eine Art Crashkurs geben über das, was hier seit meinem ... Weggang passiert ist?«
»Würde ich ja gerne«, erwiderte Alica ernst. Aber das ist gar nicht so einfach. Kaum warst du weg, hat sich hier Schlag auf Schlag alles geändert, Pia. Jeder kämpft gegen jeden, und ich bin nicht sicher, dass sie auch alle so genau wissen, warum eigentlich.« Sie verzog die Lippen. »Wenn du mich fragst, dann weiß die Hälfte von den armen Narren, die sich dort draußen gerade gegenseitig die Schädel einschlagen, nicht einmal genau, auf welcher Seite sie steht. Wir haben das angefangen, weißt du, ob wir es nun wollten oder nicht. Ich finde, wir sollten es auch beenden.«
Einmal ganz davon abgesehen, dass Pia in diesem Punkt vielleicht anderer Meinung war, erstaunte es sie über die Maßen, diese Worte ausgerechnet aus Alicas Mund zu hören. Die Alica, die sie bisher gekannt hatte, hatte sich für Modezeitschriften, Schmuck und bestenfalls die neuesten Nachrichten von der VIP-Front interessiert, ganz bestimmt nicht für das Schicksal von Menschen, die sie nicht einmal kannte. Sie war sehr sicher, dass der Begriff Allgemeinwohl nicht einmal zu ihrem Wortschatz gehört hatte.
Sie wollte dieses Erstaunen auch tatsächlich in Worte kleiden,doch in diesem Moment kam Unruhe hinter ihr auf, und als sie sich herumdrehte, sah sie den Schattenelben zurückkommen. Er war nicht mehr allein und auch nicht mehr zu Fuß, sondern überragte die Menschenmenge (die sich hastig teilte, um ihm und seinen beiden Begleitern Platz zu machen) jetzt um noch mehr, denn er saß auf dem Rücken einer der schuppigen Reitechsen, die Pia mehr denn je an den zu klein geratenen Bruder eines
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